Ankommen.
Und wenn man fragt, wohin du gehst, sag: nach Bologna!, singt es von Wanda in meinem Kopf, und tatsächlich schlendere ich in der museumsgleichen Stadt durch die Torbögen unter den alten Häusern, passiere mutig oder vielleicht auch ein bisschen lebensmüde die viel zu befahrenen Straßen, beobachte die Tauben, die die Reste der Pizzen oder der Eiswaffeln aufpicken und fühle mich eigentlich ganz wohl. Auch dort drüben in der Kapelle fühlte ich mich wohl, oder vielleicht sogar ein bisschen einsam mit mir selbst gelassen, dieser alte Raum mit dem einfachen Kreuz, der so dunkel und still ist, dass die übervollen Straßen umso lauter und greller wirken.

Bologna, Italien, das ist Espressotrinken rund um die Uhr, Pasta, die auf der Zunge zergeht, Weißwein zum Mittag, das sind Männer, die Türen aufhalten, Blumenverkäufer und Bettler, das sind denkmalartig bemalte und wunderschöne Häuser und Straßenzüge.
Bologna, meine Stadt?

Es wird dunkel, aber es bleibt laut, vor allem in dem Restaurant, in dem wir sitzen und trinken, diese große Gruppe von Leuten, alle nett, alle intelligent, alle betrunken. Ein Wein, ein Limoncello, noch mehr Wein, noch mehr..., es nimmt kein Ende und der Professor trinkt immer mehr und immer mehr. Die Kahlrasierte neben ihm fasst andauernd seinen Arm, erzählt von der Stadt, in die am nächsten Tag ein Ausflug stattfinden soll, von der Meerlage, vom Strand: Lass uns schwimmen gehen. - Na dann viel Spaß bei den Temperaturen, sage ich vor mich hin, aber sie erzählt dem Professor lieber von ihrem neuen Bikini, den sie dann tragen wird. Auf der anderen Seite zerrt die Blonde am Arm des Professors, sie erzählt ihm die Geschichte von Susanna und dem Grafen aus Figaros Hochzeit in einer ganz eigenen Variante. Susanna, sagt sie, Susanne ist so lange schon in einer Beziehung, und sie hat sich in den Grafen verliebt, obwohl der doch viel älter und reicher als sie ist. Eigentlich, sage ich, eigentlich will der Graf Susanna vergewaltigen und sie will sich vor ihm schützen., aber ich erzähle das nur leise mir selbst, denn ich glaube kaum, dass die Blonde das hören möchte. Susanna will den Grafen haben., wiederholt die Blonde, inzwischen ordentlich angeheitert und der Professor beugt sich zu ihr und sagt: Ich bin aber nicht dein Graf.
Ich fliehe vor der Diskussion vor die Tür und sehe einen angetrunkenen Italiener mit einem riesigen Küchenmesser eine Spumante-Flasche öffnen. Das abgeschnittene Korken-Glas-Stück fliegt über die halbe Straße, er rennt hinterher und taucht freudestrahlend mit dem Teil auf, drückt es mir in die Hand und sagt: felicità, felicità.
Bologna, meine Stadt?

Als der ganze Wein und der Limoncello ausgetrunken ist, ziehen wir weiter in die nächste Bar. Ich wusste gar nicht, dass du rauchst, sagt der Professor zu mir, und lässt sich von der Blonden dann auch eine Zigarette drehen. Die Kahlköpfige zwitschert seinen Namen und hängt sich bei ihm ein. Mir ist schlecht, sagt die Blonde.
Die nächste Bar ist noch voller als das Restaurant, und als sich die Tür der Damentoilette öffnet, verlassen zwei junge Italiener den Raum, in dem die Spuren ihres Aufeinandertreffens unübersehbar sind. Als ich wieder am Tisch sitze, und erstmal meine Unklarheit mit einem Glas Spumante hinunterspüle, erzählt die Blonde dem Professor von ihrer Vorliebe bei Unterwäsche. Kann ich den Rest haben, frage ich die Kurzhaarige neben mir und trinke den restlichen Spumante auf. Mit Konzentration funktioniert jeder Weg und so finde ich auch den meinigen durch Bologna, ein Fuß nach dem anderen, genügende Alkoholleichen zieren die Straßen ja eh schon, außerdem die Obdachlosen, um die sich hier niemand kümmert, die zwischen ihren Hunden auf den kalten Steinen schlafen und nicht das Geld haben, um sich zumindest innerlich mit Alkohol zu wärmen.
Bologna, meine Stadt?

Am nächsten Morgen schlendere ich wieder durch die Straßen, aber langsam habe ich mich sattgesehen an den Häusern, die alle schön, aber auch alle gleich aussehen. Ich habe mich auch sattgesehen an den kleinen Gassen und Sträßchen, die alle süß, aber auch so eng sind. Ich sehe mich auch satt an den immergleichen Leuten, an den Cafés, ich schmecke mich satt an der Pizza und an dem Espresso, den ich auch nicht mehr schmecken mag, mir ist es zu eng hier, es ist alles so eng, es gibt keine breite Straße, keinen großen Platz, keine hässlichen Häuser, nichtmal richtig hässliche Italiener gibt es, was ist das nur für eine Welt.
Ich bekomme keine Luft hier in einer Stadt wie dieser mit den gleichen Straßen überall, mit der gleichen Enge überall, den gleichen Leuten, ich glaube, ich muss ersticken, wenn ich noch ein solches schönes Haus sehe, ich vermisse die abgeranzten kaputten hässlichen Bauten aus meiner Rheinstadt, die durchgemischten Menschen, den schlechten Kaffee, die matschige Pasta, ich vermisse Bäume, Parks, Natur, Vögel, denn bis auf drei Kirschbäume gibt es nicht einen verdammten Zweig in dieser Stadt. Die Hunde pinkeln an die Gehwegkante, weil es keine Bäume gibt, Katzen sehe ich überhaupt nicht, Vögel höre ich nicht, nichts, rein gar nichts gibt es bis auf dieses Fenster in einer Straße, von dem aus man auf ein winziges Bächlein guckt, das unter Wäscheleinen vor sich hinsickert.

Wie froh bin ich, als das Flugzeug startet und unter mir die schachbrettartige braun-matschige Landschaft immer immer kleiner wird, bis irgendwann nur noch Licht und diese dicke Wolkendecke zu sehen ist, die so plüschig und kuschlig wirkt, dass man aus dem Fenster direkt hineinspringen mag. Und nur wenige Zeit später, als sich die Maschine ihren Weg erneut durch diese weiße Masse bahnt, schlängelt sich unter uns der Rhein durch grüne Wiesen und Felder, durch schöne Natur, durch... Der Dom, der Dom, oh mein Gott, man sieht den Dom!!, schreit die Passagierin neben mir, und ja, der Dom. Meine Stadt.

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