Mittwoch, 12. Februar 2020
Fort.
Du bist fort und ich bin nicht da.
Du bist weg und ich bin weg.
Du bist fort und ich bin nicht da.
Ich dachte ich könnte dich haben ich dachte es wirklich ich dachte nicht dass du nicht an mich denken könntest wenn du denken könntest dass ich an dich denken könnte.
Ich dachte wirklich ich könnte dich haben.
Und jetzt nachdem ich denke dass ich dich nicht haben kann weil du nicht zu haben bist weil du nicht daran interessiert bist was gedacht wird ob du gehabt werden kannst erfahre ich dass du doch gehabt werden kannst und dass es dich auch interessiert was gedacht wird.
Und jetzt denke ich mir wieso nur wieso nur interessiert dich nicht was ich denke interessiert dich nicht ob du mich haben kannst wo mich doch nur interessiert ob ich dich haben kann doch ich könnte dich haben ja können ist ein mögliches Wort es ist nicht leicht zu könnten aber nicht zu können und so kann ich dich nicht haben weil du weg bist du bist fort du hast dich haben lassen.
Und ich bin nicht da bei dir ich bin allein mit mir.
Du bist fort nicht hier bei mir aber nicht allein nur ich bin allein.
Du bist fort und ich bin nicht da.
Du bist weg und ich bin weg.
Du bist fort und ich bin nicht da.

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Montag, 27. Januar 2020
Gedanken zur Freiheit.
Einer der seltenen Besuche in der Metropole, meiner Herzensheimat für so viele Jahre. Das Dach des Hauptbahnhofs spannt sich erhaben über den Sternenhimmel, im Backwerk sitzen die Securitymitarbeiter und machen die Übergabe ihres Schichtwechsels. Ich atme ein. Ich liebe die Luft, die mir ein Gefühl der Freiheit gibt wie sonst eigentlich nichts. Nicht einmal die Natur schafft das.
Ich erinnere mich, wie ich auf der Rückfahrt von einem Urlaub im grünen Nirgendwo pünktlich zum Berufsverkehr am Düsseldorfer Bahnhof umstieg, mich in die Menschenmasse drängte und das erste Mal seit Tagen das Gefühl hatte, atmen zu können.

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Dienstag, 22. August 2017
Frühstück in Marbach
Schon beim Aufwachen Fleischgeruch, Wurstgeruch, Metzgereigeruch, er dringt mir unangenehm in die Nase, wird stärker, bleibt stark, ebbt selten ab, und wenn, dann folgt die nächste Brise von noch größerer Intensität. Das ist das Los des Zimmers über der Metzgerei, das ich so günstig für eine Nacht anmieten konnte, klein ist es, klein und hübsch, aber voller Fleisch- und Wurstgeruch.
Ich gehe zum Frühstücken nach unten in den Speiseraum und wundere mich, als ein Mann mit asiatischem Einschlag mich so perplex mustert und auch mir kommt er merkwürdig bekannt vor, aber mein Gesichtergedächtnis, das ein außergewöhnlich gutes ist, kann ihn nicht einordnen.
Ich setze mich hin und die Besitzerin der Metzgereifremdenzimmervermietung steht sofort mit breitem Grinsen über beide Ohren parat: Und, was mögen Sie, Cappuchino, Latte Macchiato, Milchkaffee? Ich sage: Einen normalen Kaffee bitte, einfach, vielleicht eher ein bisschen stärker., Soll ich Ihnen einen Espresso machen, oder einen doppelten Espresso?, Mir ist das alles zu kompliziert am Morgen und ich sage: Nein, danke, dann einfach nur ein Kaffee.
Ich sitze auf dem mir zugewiesenen Platz und starre vor mich hin und der asiatisch aussehende Mann drei Tische weiter tut es mir gleich. Dann betritt ein Ehepaar den Speiseraum. In gewisser Hinsicht erinnern mich die beiden an meine Eltern, nur fehlt der Zynismus. Ich frage mich immer, wie Paare es schaffen, in einer klassischen Beziehung Jahrzehnte zusammenzusein, ohne zynisch zu werden, ohne sich zu fragen, was sie gerade ohne den Partner alles alleine erleben könnten. Stattdessen muss man mit dem altbekannten Stück Mensch an einem Tisch sitzen, jedes Utensil des Frühstücks kommentieren: Ja, die Eier sind aber gut., Ja, hast du den Schinken probiert – lecker. Magst du ein Stück von meinem Brötchen haben, das ist wirklich außergewöhnlich. Als auch das letzte Frühstücksteil einen eigenen Kommentar erfahren hat, machen sie es doch wie meine Eltern und sehen hektisch im Frühstücksraum hin und her: Ja, die Einrichtung, das ist ja wie in einer richtigen Stube hier. Und hier, die Gläser, richtige Kelche. Sieh mal, das Licht draußen, sieht das nicht schön aus. Mittendrin sehen mich beide wieder an, vermutlich, weil ich selbst auf doppelte Ansprache bei ihrer Hereinkunft nur genickt habe und mich weigerte zu grüßen, und dann nicht einmal mich beschäftige, sondern einfach nur esse. Manchmal vermute ich, man kann Menschen mehr damit irritieren, schweigend zu existieren, als mit Weihnachtsmannbademantel an Ostern durch die Fußgängerzone zu hüpfen. Auch gestern war mir das schon passiert, als ich in der Fußgängerzone unterwegs war, die völlig menschenleere dreihundert Meter umfasst, dass mich alle ansehen, sich teilweise umdrehen, als wäre ich ein Zootier oder hätte zumindest Punkte im Gesicht. Noch schlimmer war es in der Natur, als mich Pärchen schon von weitem anstarren, mir dann ins Gesicht stieren, und, als ich wegsehe, sich noch den Hals verdrehen. Was fehlt mir die Masse, der Samstagnachmittag in der Kölner Schildergasse, wo ich als Sardine nahezu alles machen könnte, ohne dass es überhaupt jemand bemerkte. Ich würde höchstens totgetrampelt.
Und der ganze Aufwand nur für vier läppische Briefe im Archiv. Dort lief mir schon unten an den Spindschränken ein junger, schick gemachter Wissenschaftler über den Weg, oben dann ein junger Historiker in Wanderschuhen. Beide saßen später auch im Lesesaal und wühlten sich fachmännisch durch Handschriften. Der junge Historiker in Wanderschuhen kaufte später noch bei Rewe ein, als ich dort auch war. Was für ein Kaff, wenn man innerhalb von 2 Stunden schon die halbe Stadt kennt!
Der asiatisch aussehende Mann hat inzwischen den Speisesaal verlassen, und das Ehepaar ist nun doch ein bisschen zynisch, wie es in geflüsterten Untertönen verrät. Laut schwärmen die beiden immer noch über die rustikale Stube, den leckeren Schinken, den exquisiten Landhonig, aber mittendrin stößt er ein paar Mal entnervt aus: Jetzt hör doch auf. oder Lass das jetzt doch mal, Schatz. Ihre fröhliche, überneugierige Art, die ihn vielleicht vor dreißig Jahren um den Verstand gebracht und sein Herz schneller schlagen hat lassen, scheint nun seine Nerven völlig zu überreizen. Mittendrin sieht er aus, als will er mir einen hilfesuchenden Blick zuwerfen, aber ich sehe weg. Ist es nicht immer so, dass sich Menschen genau in den anderen verlieben, weil er etwas hat, was ihnen fehlt, und dann regen sie sich den Rest des gemeinsamen Lebens darüber auf, dass er nicht ist wie sie selbst? Inzwischen will ich einfach nur fertig werden mit dem Essen, ich packe zusammen, nehme meinen Schlüssel und gehe ohne Gruß nach oben. Auf der knarzenden Treppe höre ich, wie mir jemand entgegenkommt, der, als er mich sieht, mir sofort galant Platz macht. Jetzt, mit Brille, schickem Anzug und Aktenkoffer, erkenne ich ihn. Der asiatisch aussehende Mann ist der Wissenschaftler aus dem Archiv und wohnte nicht nur im gleichen Gasthof, sondern sogar im Zimmer nebenan. Kleiner kann die Welt wohl nicht werden als in Marbach am Neckar?

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Sonntag, 9. April 2017
Atmen im Wangerland.
Er hasst mich, der Fasan. Es ist der dritte Tag in Folge, dass ich ihn aus seinem Versteck am Wegrand aufgescheucht habe, wo normalerweise wahrscheinlich nie ein Mensch entlangwandert. Laut protestierend flattert er davon und schlägt aufgebracht mit den Flügeln, jedoch nicht, ohne am Ende einen galanten Landeanflug hinzulegen. Auch drei Rehe hatte ich verschreckt, wenn ich sie auch recht lange beobachten konnte, bevor sie schließlich doch beschlossen hatten, dass ich ihnen nicht ganz geheuer war und sie mäßig hektisch davonsprangen.
Schon am ersten Tag habe ich ihn verschreckt, als wunderschönes Wetter im Wangerland ist und ich am Mittag bei „Mario's“ in der Sonne sitze. Die Enten watscheln zutraulich um meine Füße, quaken zufrieden und sonnen sich. Ein schlechtgelauntes Ehepaar streitet sich und ruft den Hund zurück: Nichts da, Chicko, heute gibt’s keine Ente frei Haus. Die Meditation, die sonst so schwer gelingt, fällt beim Warten auf das Essen ganz leicht bei der Beobachtung des jungen Polen, der hingebungsvoll den Sichtschutzzaun in frischem Dunkelgrün streicht. Von rechts nach links, von oben nach unten, erst die Innenfelder, dann die Zwischenstreben und dann mit der Rolle die breiten Bretter. Das „Baguette-Brot“ zum Gorgonzola-Spinat-Omelett entpuppt sich als krosse Toastbrotscheiben. Nachdem ich mein Essen und der Pole die letzte Strebe des Sichtschutzpanels beendet hat, mache ich mich auf Richtung Strand. Ich bin hier, am Meer, aber das Meer ist nicht da. Spielende Kinder, Drachen im Wind, kläffende Hunde, Wohnwagensiedlungen. Nach Ewigkeiten am Deich entlang endlich der Sandstrand, warmer, weicher Sand unter meinen nackten Füßen, die Schuhe in der Hand immer weiter am Watt entlang, irgendwann setze ich mich in die Dünen. Selbst hier, am menschenleeren Teil des Strands, mit der atemberaubenden Sicht auf das Wattenmeer verharre ich in meinen Gedanken. Wo, wenn nicht hier, sollte es gelingen, an nichts zu denken? Beim Rückweg zurück laufe ich an einer Schafherde vorbei. Ein Lamm wälzt sich sonnenbeschienen im Gras, es wirkt glücklich, das berührt mich.
Am nächsten Tag Wind, Wind, unendlich viel Wind. Ich kauere auf einer Bank an einem hübschen Kanal in der Sonne, aber der Wind bläst selbst durch die winddichte Jacke hindurch. Gerade hatte ich in einem kleinen Café gefrühstückt, im Wintergarten und damit wie das Tier im Zoo. Draußen leerte ein Stadtarbeiter die Mülleimer zur Musik von Tina Turner. Völlig ungehemmt sehen die vorbeischlendernden Menschen zum Fenster hinein und mir beim Essen zu, keine Scham überkommt sie beim Ertapptwerden des Hineinschauens, vielleicht auch, weil es hier sonst nichts gibt, außer zu gucken, besonders wenn Fremde hier sind. Fremde, oder wie der stämmige Mann im Bus sagt: Terroristen. Er, der bestimmt auch oft: zum Bleistift. sagt, wirkt abweisend. Der Busfahrer hingegen, der fröhlich Moin, Moin! ruft, preist mich schon als lokale Kuriosität, den einzigen Menschen hier, der öffentliche Verkehrsmittel nutzt. Als ich sage: Ganz schön windig hier., meint er: Das ist gut, der Wind, der pustet einem alles Negative aus dem Kopf!. Den gleichen Satz zitiert später auch die Wattführerin. Ich bin die Einzige, die bei der Wanderung alleine unterwegs ist. Mit dabei sind neben zwei Familien ein junges Pärchen mit Terrorkind, das nur brüllt, tritt, heult, mit Sand wirft oder einfach wegläuft; ein bayerisches Dreiergespann; zwei Zuspätkommer; ein Ehepaar mit einem Jungen. Der Mann dieses Paares ist eigenartig, großgewachsen, schmal, mit schlackernden Hosen, die Kapuze über die Mütze gezogen. Eine perfekte Figur für eine Judith-Hermann-Geschichte, darin würde er Hannes heißen und am Ende der Wattwanderung unbemerkt nach meiner Hand greifen. Aber Hannes, der gar nicht Hannes heißt, schiebt nur das Kinn tiefer hinter den Reißverschluss der Jacke und greift nach der Hand seiner Frau, die wie ich eine lilafarbene Windjacke trägt. Das bayerische Dreiergespann, das keine Gummistiefel mitgebracht hat, meckert vor sich hin, weil im kalten Wind die Füße schmerzen. Schließlich brechen sie ab und laufen vorzeitig zum Strand zurück, während das Zuspätkommerpärchen, das ebenfalls barfuß laufen muss, tapfer die Zähne zusammenbeißt. Die Kinder halten ehrfürchtig einen dicken Wattwurm in den Händen und setzen ihn ganz vorsichtig wieder in das aufgeworfene Loch.
Beim kurzen Gespräch mit der Wattführerin merke ich schnell den Unterschied zwischen dem nordischen „Snacken“ und dem kölschen „Klönen“. Ein kurzer, netter Wortwechsel, aber bei einer Nachfrage meinerseits spüre ich deutlich den strengen Blick, der mich auf Distanz hält. Umso überbordender freundlich sind hier die Servicekräfte, deren Nachfragen mich schon fast verschrecken. Kaum hebt man dem Blick vom Buch, ruft es schon von der Theke: Alles in Ordnung, schmeckt es Ihnen., Jaja., sage ich, und beobachte vom Fenster aus die Kaninchen, die sich bei den Außenbecken der Therme tummeln. Diese Therme gleicht im Innenbereich eher einer mittelmäßigen Wasserpfütze, in der sich einige Senioren mit bunten Badekappen tummeln. Ich schwimme einige unmotivierte Achten um die Senioren herum, und gehe dann wieder. Beim Föhnen blicke ich in den Spiegel und erschrecke, als ich mein Gesicht sehe, in dem ich das erste Mal eine Ähnlichkeit zu meiner Schwester erkenne.
Während meiner ganzen Zeit im Wangerland treibt mich die Frage um, wie sich hier eigentlich Paare kennenlernen. Findet man sich hier nur über Kontaktbörsen, Suchanzeigen, Zweckangebote? Einsamer Landwirt ohne Nachbarn sucht einsame Landwirtin auch ohne Nachbarn? Auf der Straße jedenfalls begegnen mir nur Kleinfamilien und alte Leute, einzig und allein der vorbeieilende Koch in der Teestube hält meinen Blick einen Moment lang fest und lächelt mir zu. Frauen wie Männer tragen ausschließlich Funktionskleidung, alles rein zweckmäßig, Windjacken, Jeans oder Trekkinghosen und Wanderschuhe oder Gummistiefel. Ein Frauentypus hier gleicht frappierend jungen, stämmigen Burschen, es passiert mir zweimal, dass ich einen Mann mit seinen zwei Söhnen an der Haltestelle stehen sehe, und dann feststelle, dass der ältere Sohn tatsächlich die Mutter und Frau der Kleinfamilie ist.
Mein letzter Tag, und im Ashram führt ein junger fränkischer Yogi mit deutlicher Selbstironie durch das Verehrungsritual, bei dem die hinduistischen Heiligenstatuen zuerst mit Reismilch übergossen und dann mit Reis, Blumen und Schmuck dekoriert werden. Ein hipsterbärtiger, mittelalter Neuzugang, der sich bei Ankunft im Ashram noch tränenreich von seiner Freundin verabschiedet hatte und sich bei Eintritt in den Raum minutenlang vor dem Verehrungsaltar verbeugte, sitzt mir bei der Zeremonie fast auf dem Schoß, sieht immer wieder zu mir hinüber und berührt beim Herumgeben der Kirtanbücher lange meine Hand. Beim Anreichen der Blumen führt er pathetisch mit geschlossenen Augen die Hand immer wieder zu seinem Herzen und dann symbolisch in die Weite, und innerlich warte ich noch auf die Tränen der Rührung, die aus seinen Augenwinkeln kullern. Natürlich empfängt er den roten Punkt auf der Stirn und verharrt danach wieder lange in der Verbeugung vor der Lichtflamme. Ich gehe lieber essen.
Vor dem Schlafengehen laufe ich noch ein paar Schritte den Feldweg entlang. Diesmal bleibe ich etwa zwanzig Meter vor dem Fasanenversteck stehen. Ich höre nichts außer dem Geräusch der wiegenden Bäume im Wind und meinem eigenen Atmen. Am Horizont drehen sich im Sonnenuntergang meditativ die Flügel der Windräder. Ruhe, Stille, sonst nichts, nur das merkwürdige Gefühl, mich selbst am Ende des Weges stehen zu sehen.

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Samstag, 8. Oktober 2016
Strasbourg I. Ganz ohne Vorurteil.
Der 2. Busfahrer: Wir starten unsere Fahrt nach Straßburg. Es wird sehr windig werden auf der Autobahn, sehr, sehr viel Wind. Von vorne links nach hinten rechts, von vorne rechts nach hinten links, von allen Seiten, es ist ein politischer Wind, wie die politische Lage...
Alte Frau: Warum ist der Bus denn eigentlich wieder zu spät, immer zu spät?! Acht Minuten! Acht Minuten, da kann man ja nicht planen, nichts machen, so wird das nichts, das ist doch nicht wirtschaftlich, wer fährt denn da noch mit Ihnen mit, wenn Sie dauernd Verspätung haben, acht Minuten, und dann sagen Sie nicht einmal Bescheid?!
Der 1. Busfahrer: Wissen Sie, das kann man nicht so genau sagen, wie man ankommt. Die Straßen waren voll, es gab einen Unfall und dann...
Alte Frau: Ja, aber acht Minuten?! ...
Der 1. Busfahrer: Ja, die Verkehrslage, die ist leider so. Aber wie geht es Ihnen denn, letztes Mal war doch Ihre Tochter mit im Bus?
Alte Frau: Jaja, diesmal fahre ich alleine zu meinem Sohn nach Freiburg, ich bleibe da eine Woche! Aber meine Tochter, die hat viel zu viel zu tun! Wir haben damals ja alles zugleich hinbekommen, Kinder und Beruf und Eltern, aber die jungen Leute... Stattdessen beschweren sie sich, dass ich mein Handy nicht mitnehme und sie eine Stunde auf mich warten mussten, aber warum sollte ich denn aber mein Handy mitnehmen, auf der Fahrt, ich brauche doch mein Handy auf der Fahrt nicht, immerzu diese Kommunikation!
Der 1. Busfahrer: Ja, manchmal ist das aber nicht so unpraktisch, zumindest zum Bescheid sagen...
Alte Frau: Ach, Bescheid sagen, wir haben das doch früher auch anders geschafft! Wissen Sie, dass man jetzt überlegt, auf dem Boden vor Ampelübergängen Leuchtmarkierungen zu installieren, weil die jungen Leute alle nur mit dem Blick nach unten hängen?!
Der 1. Busfahren: [lacht]
Alte Frau: Ja, Sie lachen! Aber das ist nicht lustig! Ich als Mutter wüsste ja, wie man das verhindern könnte, das ist alles Erziehung, Erziehung ist das! Die jungen Leute haben völlig verlernt zu kommunizieren! Die können sich nicht mehr ins Gesicht sehen! Früher, früher hat man sich getroffen und in die Augen gesehen und dann wusste man was los war, heute schauen die sich nicht mehr in die Augen!
Der 1. Busfahrer: Ja, meine Frau und meine Tochter....
Alte Frau: Empathie! Empathie! Das fehlt den Leuten, sie können nicht mehr zuhören! Und in die Augen sehen!
Der 1. Busfahrer: Ja, wenn meine Frau und meine Tochter...
Alte Frau: Nicht mehr zuhören! Die Augen! Und dann fotografieren sie alles, das Essen, alle müssen ihr Essen fotografieren, und von allem machen sie Bilder, von allem!
Der 2. Busfahrer: Wenn sie nach links und nach rechts sehen, sehen Sie... Groß- … und Kleinblittersdorf. Es zeichnet sich vor allem durch seine Mischung aus sehr alten kaputten und sehr neuen kaputten Häusern aus. Letztere wegen Goldman Sachs.
Der 1. Busfahrer: Wohnen Sie denn in Saarbrücken, wo Sie eingestiegen sind?
Alte Frau: Nein nein, ich wohne in einem kleinen Dorf, ganz weit außerhalb, da braucht man ein Auto. Das ist ganz nett dort, sehr ruhig, wenn man seine Freunde hat, dann geht’s. Die Ureinwohner dort sind unerträglich...
Der 1. Busfahrer: [lacht] Ja, das kenne ich...
Alte Frau: Wissen Sie, was das ist: Ureinwohner?
Der 1. Busfahrer: Jaja..
Alte Frau: Ja, ich weiß ja nicht, ob Sie das kennen, in Deutschland sind ja viele Dinge immer doch anders. Auf dem Dorf gibt es auch diese Dorfvereine, kennen Sie das?
Der 1. Busfahrer: Ja, natürlich...
Alte Frau: Dorfvereine, das sind dann Gesangsvereine, Sportvereine, Schützenvereine,...aber das stirbt ja alles aus, die jungen Leute gehen da ja nicht mehr hin. Gibt es das bei Ihnen auch?
Der 1. Busfahrer: In Dormagen gibt es das auch, ja...
Alte Frau: Aber Sie sind ja nicht aus Dormagen, woher sind Sie, Tschechei oder Polen?
Der 1. Busfahrer: Slowenien.
Alte Frau: Achja, das sind ja auch alle ganz andere Sitten überall, das ist für Sie ja sicherlich komisch, wenn Sie in Deutschland sind.
Der 1. Busfahrer: Naja, ich bin ja schon seit vierunddreißig Jahren in Deutschland...
Alte Frau: Jaja, ganz komisch ist das ja, wenn Sie aus der Tschechei,...
Der 1. Busfahrer: Slowenien...
Alte Frau: Ja, dann eben Slowenien kommen. Es ist ja überall immer anders, immer andere Sitten. Bei den Amerikanern zum Beispiel, die Amerikaner lassen ja zum Beispiel alle immer ihr ganzes Essen auf dem Teller, weil das zeigen soll, dass sie nicht aufgehört haben zu essen, weil nichts mehr da war, sondern weil sie satt sind – die sind doch verrückt! Wahrscheinlich fotografieren die das vorher auch noch, die jungen Leute dort. Also ich meine, ich bin ja ganz ohne Vorurteil, aber...
Der 2. Busfahrer: Wir erreichen Straßburg. Wir beglückwünschen Sie, dass Sie mit den Besten der Besten gefahren sind, nämlich uns, und wünschen Ihnen viel Spaß bei Ihrem Aufenthalt. Alles Gute!

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Strasbourg II. Nicht Julie.
Ich wollte im Café schreiben. In einem richtig schönen französischen Café, stilecht mit dem Kellner plaudern und à la manière française inspiriert dort sitzen und Wort für Wort zu Blatt bringen. Ich wollte im Café schreiben, oder zumindest im Park, im Parc de l'Orangerie, oder dem Jardin botanique, in einem Café oder in einem Park oder in einem Café in einem Park. Doch weit gefehlt. Mich schlug stattdessen meine Minderwertigkeitsmelancholie nieder, die mich immer im fremdsprachigen Gebiet mit multilingualen Freunden ergreift. Man plaudert in fließendem Französisch, Italienisch, Spanisch, alles zugleich, und ich sitze daneben und bin froh, das ein oder andere Schlagwort zu verstehen, zu perplex, um bei Fragen zu antworten und zu nervös, um einen Versuch zu wagen. Ich wollte eigentlich in einem Café schreiben. Stattdessen schreibe ich in einem Zimmer mit passabler Aussicht, in einem Zimmer.
Schuld war Julie. Julie saß gestern im Restaurant neben mir, wie ein Filmstar bewegte sie sich und wie ein Filmstar sah sie auch aus. Beim Sprechen kam sie ganz nah an mein Gesicht und mein Hinterkopf klebte schon fast an der Außenwand des Restaurantgebäudes, weil ich ihrem Gesicht auswich und es dem meinigen doch immer näher kam. Julie hatte dieses leichte Lachen, diese schwerelose Art, diesen Lebenshunger. Julie war in Australien, in Canada, in Frankreich, in Italien, hat überall gelebt und sich überall durchgeschlagen, überall gearbeitet und sich überall eingefunden. Sie redet drauflos, sie bestellt durcheinander, sie reist durch die Gegend.
Aber ich bin nicht Julie. Und Julie ist nicht ich.
Ich wollte im Café schreiben, oder zumindest im Park, im Jardin botanique. Aber der Jardin botanique war geschlossen. Der Parc de l'Orangerie zu weit weg. Ich sagte, ich werde mich mal ein bisschen treiben lassen, ein bisschen hierhin, mal dorthin, ein bisschen umher, und Julie sagte: Ja geh doch ins Café, hier sind die ganzen Cafés, kannst du doch reingehen. Sie sagte das, sie sagte das so einfach, aber weil sie es sagte, wollte ich nicht mehr. Ich dachte, ich könnte im Café sitzen wie Julie es tun würde, stilecht mit dem Kellner plaudern und à la manière française inspiriert dort sitzen und Wort für Wort zu Blatt bringen. Aber ich würde doch nur unsicher dasitzen, bei der Bestellung mich verhaspeln, die Nachfrage, ob ich Zucker möchte, nicht verstehen und vor der Rechnung Herzrasen bekommen, weil ich Bedenken habe, die Summe nicht richtig zu hören. Die Realität würde also weit von dem abweichen, was ich mir in meinen Gedanken vorgestellt hatte, denn ich bin nunmal ich und nicht Julie. Ich war nicht in Australien, ich war nicht in Canada, ich kann ein wenig Schulfranzösisch und so schlecht Italienisch, dass ich mit hanebüchenen Fehlern ein Eis bestellen kann.
Ich würde gerne mehr können. Ich würde gerne Fremdsprachen fließend sprechen, gerne abenteuerlustig sein, und gerne reisen mögen, aber ich tue es einfach nicht. Ich würde gerne sagen: Ich bin gerne unterwegs. Ich ziehe von Land zu Land und Stadt zu Stadt mit meiner Matratze und meinen Büchern, aber ich habe nicht nur eine Matratze und Bücher und ich ziehe auch nicht gerne von Land zu Land und Stadt zu Stadt. Stattdessen sitze ich jetzt hier im Zimmer mit meiner Minderwertigkeitsmelancholie und schreibe, immerhin das. Heute abend soll noch Trubel hier sein, Trinken, Besuch, Lärm bis spät in die Nacht, ich fühle mich langsam zu alt dafür. Ich bin müde. Ich bin nicht lebenshungrig, nicht schwerelos, nicht leicht. Ich bin eben nicht Julie.

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Samstag, 24. September 2016
An old world dies.
In meinem Kopf schwirren endlose, sinnlose, wertlose Ketten von Sinnsprüchen und Sprichwörtern, von Satzaneinanderreihungen. Schließende Türen, anstelle derer neue Türen sich öffnen, alte Welten, die untergehen, um neue entstehen zu lassen. Man weiß nie, wofür es gut ist., sagte neulich meine Mutter zu mir und ich wunderte mich, weil sich die Machtverhältnisse plötzlich gewendet hatten, und ich mich nicht erinnern konnte, wann sie das letzte Mal meine Mutter und ich ihr Kind war und nicht sie, sich in der Kinderrolle bequem eingerichtet, mich um mütterlichen Rat befragte. Aber sicherlich hätte auch ich ihr gesagt: Man weiß nie, wofür es gut ist., also akzeptierte ich ihr: Man weiß nie, wofür es gut ist., wenn es mich innerlich auch wurmte, mit Kinderaugen auf diesen Satz zu sehen und mich zu fragen, warum ich ihn mir nicht selbst gesagt habe.

Der Herbst hält Einzug und hat es in sich. Das Jahr stirbt sozusagen, wie die Welt in den end-, sinn- und wertlosen Sinnsprüchen und Sprichwörtern, und reißt noch einiges mit sich. Das Hochkochen sovieler Dinge, das Aufreißen sovieler totgeglaubter Geschichten. Gesichter tauchen wie Wasserleichen aus Flüssen auf, die man längst ausgetrocknet geglaubt hatte. Die Gesichter zeigen Menschen, die ich kaum wiedererkenne, weil sie sich so verändert haben, und doch ist es ja seltsam zu glauben, ich wäre die Einzige, die sich ändern dürfte, oder?

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Mittwoch, 16. März 2016
Ankommen.
Und wenn man fragt, wohin du gehst, sag: nach Bologna!, singt es von Wanda in meinem Kopf, und tatsächlich schlendere ich in der museumsgleichen Stadt durch die Torbögen unter den alten Häusern, passiere mutig oder vielleicht auch ein bisschen lebensmüde die viel zu befahrenen Straßen, beobachte die Tauben, die die Reste der Pizzen oder der Eiswaffeln aufpicken und fühle mich eigentlich ganz wohl. Auch dort drüben in der Kapelle fühlte ich mich wohl, oder vielleicht sogar ein bisschen einsam mit mir selbst gelassen, dieser alte Raum mit dem einfachen Kreuz, der so dunkel und still ist, dass die übervollen Straßen umso lauter und greller wirken.

Bologna, Italien, das ist Espressotrinken rund um die Uhr, Pasta, die auf der Zunge zergeht, Weißwein zum Mittag, das sind Männer, die Türen aufhalten, Blumenverkäufer und Bettler, das sind denkmalartig bemalte und wunderschöne Häuser und Straßenzüge.
Bologna, meine Stadt?

Es wird dunkel, aber es bleibt laut, vor allem in dem Restaurant, in dem wir sitzen und trinken, diese große Gruppe von Leuten, alle nett, alle intelligent, alle betrunken. Ein Wein, ein Limoncello, noch mehr Wein, noch mehr..., es nimmt kein Ende und der Professor trinkt immer mehr und immer mehr. Die Kahlrasierte neben ihm fasst andauernd seinen Arm, erzählt von der Stadt, in die am nächsten Tag ein Ausflug stattfinden soll, von der Meerlage, vom Strand: Lass uns schwimmen gehen. - Na dann viel Spaß bei den Temperaturen, sage ich vor mich hin, aber sie erzählt dem Professor lieber von ihrem neuen Bikini, den sie dann tragen wird. Auf der anderen Seite zerrt die Blonde am Arm des Professors, sie erzählt ihm die Geschichte von Susanna und dem Grafen aus Figaros Hochzeit in einer ganz eigenen Variante. Susanna, sagt sie, Susanne ist so lange schon in einer Beziehung, und sie hat sich in den Grafen verliebt, obwohl der doch viel älter und reicher als sie ist. Eigentlich, sage ich, eigentlich will der Graf Susanna vergewaltigen und sie will sich vor ihm schützen., aber ich erzähle das nur leise mir selbst, denn ich glaube kaum, dass die Blonde das hören möchte. Susanna will den Grafen haben., wiederholt die Blonde, inzwischen ordentlich angeheitert und der Professor beugt sich zu ihr und sagt: Ich bin aber nicht dein Graf.
Ich fliehe vor der Diskussion vor die Tür und sehe einen angetrunkenen Italiener mit einem riesigen Küchenmesser eine Spumante-Flasche öffnen. Das abgeschnittene Korken-Glas-Stück fliegt über die halbe Straße, er rennt hinterher und taucht freudestrahlend mit dem Teil auf, drückt es mir in die Hand und sagt: felicità, felicità.
Bologna, meine Stadt?

Als der ganze Wein und der Limoncello ausgetrunken ist, ziehen wir weiter in die nächste Bar. Ich wusste gar nicht, dass du rauchst, sagt der Professor zu mir, und lässt sich von der Blonden dann auch eine Zigarette drehen. Die Kahlköpfige zwitschert seinen Namen und hängt sich bei ihm ein. Mir ist schlecht, sagt die Blonde.
Die nächste Bar ist noch voller als das Restaurant, und als sich die Tür der Damentoilette öffnet, verlassen zwei junge Italiener den Raum, in dem die Spuren ihres Aufeinandertreffens unübersehbar sind. Als ich wieder am Tisch sitze, und erstmal meine Unklarheit mit einem Glas Spumante hinunterspüle, erzählt die Blonde dem Professor von ihrer Vorliebe bei Unterwäsche. Kann ich den Rest haben, frage ich die Kurzhaarige neben mir und trinke den restlichen Spumante auf. Mit Konzentration funktioniert jeder Weg und so finde ich auch den meinigen durch Bologna, ein Fuß nach dem anderen, genügende Alkoholleichen zieren die Straßen ja eh schon, außerdem die Obdachlosen, um die sich hier niemand kümmert, die zwischen ihren Hunden auf den kalten Steinen schlafen und nicht das Geld haben, um sich zumindest innerlich mit Alkohol zu wärmen.
Bologna, meine Stadt?

Am nächsten Morgen schlendere ich wieder durch die Straßen, aber langsam habe ich mich sattgesehen an den Häusern, die alle schön, aber auch alle gleich aussehen. Ich habe mich auch sattgesehen an den kleinen Gassen und Sträßchen, die alle süß, aber auch so eng sind. Ich sehe mich auch satt an den immergleichen Leuten, an den Cafés, ich schmecke mich satt an der Pizza und an dem Espresso, den ich auch nicht mehr schmecken mag, mir ist es zu eng hier, es ist alles so eng, es gibt keine breite Straße, keinen großen Platz, keine hässlichen Häuser, nichtmal richtig hässliche Italiener gibt es, was ist das nur für eine Welt.
Ich bekomme keine Luft hier in einer Stadt wie dieser mit den gleichen Straßen überall, mit der gleichen Enge überall, den gleichen Leuten, ich glaube, ich muss ersticken, wenn ich noch ein solches schönes Haus sehe, ich vermisse die abgeranzten kaputten hässlichen Bauten aus meiner Rheinstadt, die durchgemischten Menschen, den schlechten Kaffee, die matschige Pasta, ich vermisse Bäume, Parks, Natur, Vögel, denn bis auf drei Kirschbäume gibt es nicht einen verdammten Zweig in dieser Stadt. Die Hunde pinkeln an die Gehwegkante, weil es keine Bäume gibt, Katzen sehe ich überhaupt nicht, Vögel höre ich nicht, nichts, rein gar nichts gibt es bis auf dieses Fenster in einer Straße, von dem aus man auf ein winziges Bächlein guckt, das unter Wäscheleinen vor sich hinsickert.

Wie froh bin ich, als das Flugzeug startet und unter mir die schachbrettartige braun-matschige Landschaft immer immer kleiner wird, bis irgendwann nur noch Licht und diese dicke Wolkendecke zu sehen ist, die so plüschig und kuschlig wirkt, dass man aus dem Fenster direkt hineinspringen mag. Und nur wenige Zeit später, als sich die Maschine ihren Weg erneut durch diese weiße Masse bahnt, schlängelt sich unter uns der Rhein durch grüne Wiesen und Felder, durch schöne Natur, durch... Der Dom, der Dom, oh mein Gott, man sieht den Dom!!, schreit die Passagierin neben mir, und ja, der Dom. Meine Stadt.

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Donnerstag, 10. September 2015
Akten und Zeichen.
Die Uhr macht tick, tack, tick, tack, während sie im Wartezimmer sitzt und den Zeiger beobachtet. Der Sekundenzeiger dreht hektisch Runde um Runde, aber inzwischen hat auch der Minutenzeiger schon zwei Runden gedreht. Sie atmet tief durch und denkt, die Zeit kann sie sowieso nicht ändern, da hilft das ganze auf-die-Uhr-starren und aufstöhnen und sowieso alles nichts. Trotz allem schleichen um sie herum einige der Menschen, die ebenfalls seit Stunden warten, und heben alle paar Augenblicke den linken Arm mit einer Bewegung, die zugleich den linken Ärmel zurückschiebt, um auf ihre Armbanduhr zu lugen, aufzustöhnen und den Kopf zu schütteln, nur um denselben Vorgang alle paar Minuten zu wiederholen.
Ein anderer Patient setzt sich auf den Platz neben ihr. Unruhig atmet er, und als er sich eine Zeitung vom Tisch nehmen will, stößt er ihr Glas um: Oh, Entschuldigung., er will das Glas wieder aufrichten und macht damit alles nur schlimmer: Lassen Sie's gut sein., sagt sie und berührt ihn beruhigend am Arm. Sie merkt, dass er versucht, ruhiger zu atmen, aber es gelingt ihm nicht, und kurzerhand nimmt sie seine Hand und drückt sie. Er sieht sie verdutzt an, aber sie starrt einfach weg und hält seine Hand ganz fest, solange, bis er sich entspannt und sich sein Atem beruhigt. Gerade ist auch sie ganz entspannt mit der fremden Hand in ihrer Hand, als sie aufgerufen wird, die Hand des anderen loslässt und in den Aufnahmeraum geht.

Sie tritt ein und der Arzt, der dort sitzt, hebt die Augen über den Rand seiner Brille und signalisiert ihr damit, ohne sie anzublicken, Platz zu nehmen. Er stellt ihr Frage um Frage, sie beantwortet eine um die andere möglichst ohne Umwege, bis er zufrieden scheint und den Wagen mit den Untersuchungsinstrumenten heranzieht. Als er in ihrer Nase und ihrem Mund herumstochern will, schiebt er, um möglichst nahe ranzukommen, seinen Oberschenkel zwischen ihre Beine, sie denkt, er muss Fußballer sein, so muskulös wie sein Oberschenkel ist, und sie sieht weg, während er mit dem Stochern beginnt, sie sieht weg und sieht auf seine rotblonden Haare im Nacken. Mittendrin sieht sie doch in sein Gesicht, aber dann wirft er ihr einen stechenden Blick mit seinen braunen Augen durch das schwarze Gestell der Brille zu und sie konzentriert sich lieber auf die Nackenhaare, die in der Sonne hell schimmern. Plötzlich geht es ganz schnell, der Arzt zieht seinen Oberschenkel zwischen ihren Beinen hervor, packt eine schwarze Akte auf den Tisch und sagt: Die wird jetzt ihr wichtigster Begleiter. Sie packt die schwarze Akte unter den Arm und tritt spätestens mit dem Schritt in Patientenzimmer für die nächsten Tage ein in ein ganz seltsames ruhiges und fremdbestimmtes Leben. Morgens aufstehen, Frühstück, Anstehen vorm Behandlungszimmer, Mittagessen, Pflegervisite, Kaffeetrinken, Abendessen, Abendvisite, Licht aus, Nachtruhe, Schluss. So ähnlich zählt ihr später der Arzt die Risiken auf: Durchtrennung der Hirnschlagader, Blutungen, Schlaganfall, Herzstillstand, Tod. Da müssen Sie dann unterschreiben., sagt er, und sie führt die Hand über das Unterschriftsfeld.
Sie fragt sich, was eigentlich passieren müsste, dass der Arzt sie bemerken würde und nicht nur die Augen über die Brille ins Nichts heben würde, aber ihr fällt nicht viel ein. Vielleicht müsste sie ein besonders schwieriger Fall sein, besonders krank, besonders hoffnungslos, vielleicht hätte er dann Mitleid oder würde sie zumindest als Kuriosität erinnern. Aber während sie das denkt, sagt er schon: Haben Sie noch Fragen, nein, gut, dann gehen sie jetzt zum Anästhesiegespräch. Sie steht auf und er mahnt: Vergessen Sie ihre Akte nicht., sie klemmt also die schwarze Akte wieder unter den Arm und läuft Stufe um Stufe zur Anästhesie. Die Tür steht offen, sie schielt vorsichtig hinein und blickt direkt in ein Paar dunkle Augen. Der Anästhesist lächelt: Kommen Sie ruhig rein., sie setzt sich, lächelt auch und beantwortet auch dem Anästhesisten Frage um Frage. Als auch er am Ende zufrieden die Dokumente in die Aktenmappe steckt, zögert sie einen Moment und fragt: Können Sie bei mir dabeisein?, sie fragt ganz schüchtern, und er sieht sie an und sagt: Tut mir leid, dafür ist mein Kollege schon eingeteilt. Sie verzieht die Mundwinkel zum Lächeln und geht mit ihrer Akte zurück auf ihr Zimmer.
Sie denkt an die Operation am nächsten Tag, man hat ihr ein Schlafmittel gegeben, aber sie kann nicht schlafen, sie denkt, es muss etwas passieren, Komplikationen gibt es doch immer, sie denkt daran, wie der Arzt und der Anästhesist ganz besorgt wären, wie sie statt der Akte sie selbst ansehen würden, alles versuchen würden, dass es ihr besser ginge, aber dann denkt sie sich, wie albern dieser Gedanke doch ist, und schläft dann doch ein.

Am nächsten Tag muss sie sich ausziehen, sie liegt nackt in diesem weißen Bett in ihrem weißen Hemdchen und wird durch diese weißen Gänge geschoben. Man hat ihr wieder Tabletten gegeben, zum Beruhigen, aber sie will sich nicht beruhigen, sie wehrt sich gegen die Tabletten, mit aller Kraft, sie beginnt, während das Bett nach unten geschoben ist, zu rechnen, die Deckenfliesen zusammenzuzählen, wach bleiben, wach bleiben, sagt sie sich und ist dann doch etwas benommen, als sie auf eine andere Liege klettern soll. Ein älterer Mann beginnt, sie zu verkabeln und sie denkt, vielleicht ist das der Kollege des Anästhesisten, schade, dass er nicht dabei ist, sie sieht an die Decke und zählt wieder die Fliesen, wach bleiben, wach, und dann sieht sie wieder an die Decke und plötzlich in die dunklen Augen des Anästhesisten.
Sie sind ja doch da., entfährt es ihr und er lächelt, er habe den Dienst getauscht, fühlt ihren Puls und sagt: Ist denn alles okay, sind Sie aufgeregt?, sie sagt: nein, nein., und er sagt: Ihr Puls sagt aber etwas anderes., sie denkt, der Puls ist nur so hoch vom Deckenfliesenzusammenzählen und vom In-die-dunklen-Augen-des-Anästhesisten-schauen, nicht vom Aufgeregtsein, aber das sagt sie nicht. Er schiebt die Armschiene hin und her, legt die Plastikmaske auf ihr Gesicht und sagt: Wir sehen uns beim Aufwachen, träumen Sie was Schönes., sie will noch sagen: Ich weiß auch schon was., aber spürt nur noch, wie der Anästhesist ihr Bein berührt und ist weg.

Sie ist weg, sie ist wirklich weg, in einem Zwischenraum, da ist nur eine Bank, eine Bank im Park, überall liegt Herbstlaub am Boden und irgendwo steht eine Engelsstatue aus Stein, sie sitzt auf der Bank, plötzlich liegt sie wieder auf dem Parkboden und sitzt dann wieder auf der Bank, überall hat sie Herbstlaub, wenn sie die Hände öffnet, ist alles ganz staubig vom zerbröckelten Laub, sie sieht den Engel aus Stein an und er sieht mit den dunklen Augen des Anästhesisten zurück, ihr ist schlecht dort auf der Bank, ganz kurz ist sie wieder im weißen Zimmer, der Anästhesist und eine Schwester beugen sich besorgt über sie, die überall blutet und sie hört ihn sagen, man solle noch ein paar Kühlakkus bringen, dann sieht sie wieder seine Augen nur im Steinengel, sitzt wieder auf der Bank in einem riesigen Haufen Laub und starrt vor sich hin.

Plötzlich wacht sie auf, sie fühlt sich, wie als hätte man ihr den Steinengel auf den Kopf gedonnert, alles schwirrt, eine Schwester kommt und blafft: Ach, sind Sie wach., sie sagt: Mir ist kalt., und die Schwester spritzt ihr Schmerzmittel, dabei ist ihr doch nur kalt von den ganzen Kühlakkus im Nacken. Wenig später darf sie schon auf ihr Zimmer geschoben werden, eine nette Schwester hilft ihr in die Kleidung, dass sie ihr Hemd und die Nacktheit loswird, aber als sie in den Spiegel schaut, kommt sie sich doch wie geschlagen vor, alles ist blutig und blau. Aber keine Komplikation, es gab keine Komplikation, dabei gibt es doch immer Komplikationen, immer bei den falschen Menschen gibt es die, und deswegen sehen der Arzt und der Anästhesist auch nur die Akte, die schwarze Mappe mit den ganzen Dokumenten drin, und nicht sie.
Sie taucht ein in den Alltag von schlafen, Untersuchungen, essen, noch mehr essen, noch mehr Untersuchungen und noch mehr schlafen. Sie lässt sich treiben durch den Tag ohne Inhalt, ohne Ziel, ohne irgendwas. Einmal sieht sie den Anästhesisten durch ein Fenster, er telefoniert und bemerkt sie nicht. Doch dann kommt eines Morgens der Arzt wieder in ihr Zimmer. Er hebt wie immer seinen Blick über die Ränder der schwarzen Brille und sagt, ohne sie anzusehen: Wie geht es Ihnen., sie sagt: gut., und er: Wunderbar, dann können Sie gehen., sie sagt: Jetzt schon., und er sagt: Wir brauchen das Bett., ganz schlicht und kurz: Hier sind die Entlassungspapiere, da unterschreiben, dann können Sie gehen., sie unterschreibt geistesabwesend, sie sieht ihn an und wartet, ob noch etwas kommt, sie denkt, das kann doch nicht sein, erst keine Komplikation und jetzt auch noch früher entlassen, exzellente Wundheilung, alles außergewöhnlich gut, warum ich, warum ich, warum ausgerechnet ich, aber dann hört sie den Arzt sagen: Wir müssen natürlich noch die Biopsie abwarten, ob auch alles gutartig ist., und sie sagt: Ach so. und horcht auf.
Während sie ihren Koffer packt und bemerkt, wie der Arzt unruhig mit dem Fuß wippt, weil sie ihm nicht schnell genug weg ist, denkt sie, vielleicht ist die Biopsie meine Rettung, vielleicht ist etwas bösartig, vielleicht bemerkt sie der Arzt dann, oder der Anästhesist sieht ihr wieder in die Augen, sie sieht seine dunklen Augen vor sich und muss plötzlich an einen Steinengel denken, sie versteht nicht warum, aber dann hört sie das ungehaltene Räuspern des Arztes, wirft sich ihre Tasche über und verlässt das Krankenhaus.

Vierzehn Tage später sitzt sie wieder im Wartesaal. Vierzehn Tage hat sie darüber nachgedacht, was sie ändert, wenn etwas bösartig ist, sie denkt daran, wegzufahren, endlich ihren Job zu kündigen, endlich alles neu zu machen, sie denkt an den Anästhesisten mit seinen dunklen Augen, vielleicht hat er ja Mitleid, oder der Arzt mit seinen rotblonden Haaren, wie schön es wäre, mit ihm im Abendlicht zu sitzen, Essen zu gehen, aufs Land oder in die Stadt zu fahren, überallhin, Hauptsache ein neues Leben, ein anderes, nicht mehr das ihre. Sie wird ganz euphorisch bei diesen Gedanken, und als ihr Name aufgerufen wird, springt sie förmlich von ihrem Stuhl, läuft federnd in das Besprechungszimmer und setzt sich gutgelaunt hin. Guten Tag, Frau...wie war nochmal Ihr Name., sagt der Aktenmann und macht sich dann doch nicht die Mühe, nachzusehen. Er zieht aus der schwarzen Akte ein Blatt, das entscheidende Blatt, denkt sie, das Blatt zu einem neuen Leben, er nimmt es in die Hände, und sagt: Alles gutartig, alles super. Herzlichen Glückwunsch.

Es ist ihr, als hätte er sie geohrfeigt. Gutartig, warum gutartig, warum super, was ist daran Glückwunsch, sie schnaubt auf, wirft dem Aktenmann das Blatt ins Gesicht und rennt türenknallend aus dem Besprechungszimmer. Sie kann es nicht fassen, kann nicht glauben, dass sie in ihr Leben, so wie es ist, zurückkehren muss, dass das alles nichts verändert hat, dass sie keine Chance bekommt, dass einfach alles - sie stockt in den Gedanken, als der Arzt ihr entgegenkommt. Er wirft ihr einen Nicht-Blick durch die Brille zu und nickt, als er an ihr vorbeigeht. Er hat sie nicht einmal erkannt.

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Mittwoch, 9. September 2015
Der Mann aus Odessa.
Weinrot, das zum Kleidersaum hin in ein rostorange changiert, leicht fällt der Stoff in ihren Händen, als sie ihn über ihre Beine zieht. Sie blickt sich im Spiegel an, zupft hier und da und bemerkt irgendwann den Blick des Paranoiden, der hinter ihr steht und sie mürrisch ansieht. Bist du sicher, dass du nicht mitgehen willst., fragt sie ihn, aber sie kennt die Antwort, wenn er sagt: Was soll ich denn da, außerdem willst du doch gar nicht, dass ich mitgehe. Sie verdreht die Augen: Ach, hör auf., und sucht ihre Handtasche, und denkt dann doch: Zum Glück will er nicht mit.
Er ist ihr sowieso peinlich geworden mit der Zeit. Und mit der Zeit passierte es auch, dass er immer paranoider wurde. Vorhin noch hatte sie kurzzeitig türenknallend die Wohnung verlassen, als er wieder an ihrem Laptop fühlte, sie ansah und sagte: Er ist noch warm - mit wem hast du geschrieben!, und sie sagte: du bist paranoid., und der Paranoide sagte: Nein, aber ich merke, dass du mich betrügen wirst. Irgendwann werde ich das auch, denkt sie sich jetzt, zumindest wenn das so weitergeht, wenn der Paranoide immer paranoider und peinlicher wird und sie weder zuhause noch sonstwo Ruhe hat vor ihm. Trennung, Trennung ist ein großes Wort, viel größer als Beziehung, weil es mehr Mut erfordert und es das andere manchmal nur gibt, weil keiner sich trennt.
Inzwischen hat sie die Handtasche gefunden, wirft dem Paranoiden noch einen angestrengten Blick zu und verlässt mit einem kurzen Tschüss. die Wohnung. Er sagt nichts und starrt ihr mürrisch nach, aber an solche Abschiede hat sie sich mit der Zeit gewöhnt. Sie läuft durch die kühle Winterluft, bis zum Bahnhof, sitzt in der Bahn und sieht ratlos aus dem Fenster. Manchmal kann sie gar nicht fassen, wie alles so kommen konnte, wie ihr ganzes Leben immer und immer wieder zum stumpfsinnigen Hamsterrad wird, wie sie es immer und immer wieder schafft, diese Menschen um sich zu scharen, mit denen alles schwerer, aber einfach nichts leichter wird, und es alle paar Jahre zum Knall kommt, und sie umziehen will und sich von allem trennen will und letztendlich bleibt sie doch in der Wohnung mit dem Paranoiden, der dauernd hinter ihr steht und sie mürrisch anstarrt, und letztendlich bleibt auch ihr Leben ein einziges stumpfsinniges Gelatsche im Hamsterrad, ein unbegeistertes Absolvieren von Ungeliebtem, im Großen und Ganzen also ein einziger unnützer Unfug, der alles schwer und nichts leicht und schön macht.

Die Bahn hält, sie steigt aus und läuft, einen Fuß vor den anderen setzend, vorwärts, mit jedem Schritt scheint der Paranoide ein bisschen weiter weg zu sein, ein bisschen irrealer, ein bisschen weniger ihr Leben. Als sie an der Wohnung ihrer Freundin angekommen ist, scheint es ihr fast so, als gebe es den Paranoiden gar nicht, als sei er ein Phantasiegebilde, ein kleiner Albtraum im Wachzustand. Aber der Albtraum ist mein Leben, das ist die ganze Ironie., denkt sie noch, aber die Tür geht auf und sie lächelt und tritt ein. In der Wohnung kann sie kaum weiter als zwei Meter blicken, so ist alles voller Rauch, eng gedrängt sitzen laut durcheinander redende Leute im Wohnzimmer, jeder eine Flasche und eine Zigarette in der Hand, sie setzt sich dazu, zündet sich ihre Malboro an und nimmt einen Schluck aus der Flasche, die man ihr gereicht hat, Rosé, der billigste Fusel, gleich nach dem im Tetrapack. Sie trinkt mehr und mehr, aber es ist immer noch nicht genug, solange ihr der Paranoide und ihr Hamsterradleben einfällt, also trinkt sie noch welche von den Gläsern, die man ihr in die Hand drückt, und ist froh, als man beschließt, weiterzuziehen. Kühle Nachtluft empfängt sie, als sie aus der Tür tritt, kühl und klar umspült es ihren nebligen Kopf, ein Schritt vor den anderen, nicht schwanken, schön gerade aus, denkt sie und es klappt auch ganz gut.
Der Club ist nicht weit und sie drückt sich durch die Tür und in die Menschenmasse. Die Jacke hängt sie irgendwohin, sucht sich die engste Stelle auf der Tanzfläche und denkt nicht mehr nach. Immer wieder taucht eine Freundin auf und drückt ihr ein Glas in die Hand, sie lässt es geschehen, alles wie es soll. Was der Paranoide jetzt wohl macht, bestimmt vor sich hinstarren, aber das tut er ja auch, wenn sie da ist. Sie ist jetzt noch nicht lange auf der Tanzfläche, als sich ein Anzugträger von hinten an sie drückt. Sie ignoriert ihn, aber er sagt ihr andauernd irgendwas ins Ohr, er schreit ihr ins Ohr, aber sie versteht nichts, die Musik ist zu laut. Irgendwann versteht sie, ob sie mit nach draußen käme. Sie geht hinter ihm her, aber er gefällt ihr nicht, sie zündet sich eine Zigarette an, die letzte, die sie noch hat, und fragt ihn, was er denn so mache, doch schon nach ein paar Sekunden bereut sie diese Smalltalk-Frage, als der Anzugträger zu einem ausschweifenden Monolog über sein Unternehmen ansetzt. Eine Weile lässt sie das Schwafeln des Anzugträgers über Brutto und Netto und Gewinne und Fachwörter über sich ergehen, dann geht sie wortlos wieder nach drinnen. Er ruft hinterher, aber sie dreht sich nicht mehr um.

Eine Weile später steht sie wieder draußen und sieht in ihre leere Zigarettenschachtel. Vor dem Club haben sich einige Grüppchen gebildet, sie geht wahllos herum und fragt einen Alten und einen Studenten, ob sie denn eine Zigarette übrig hätten. Für eine schöne Frau immer., sagt der Alte und zieht aus der Schachtel eine Malboro. Sie steckt die Zigarette zwischen die Lippen, beugt sich nach vorne und der Alte lächelt, als er ihr Feuer gibt. Sie sieht die beiden ungleichen an, den Studenten mit Lockenkopf, der ein bisschen wie ein Lämmchen wirkt, und den Alten, der weder groß noch schlank ist, aber aussieht wie dieser Charakterschauspieler, dessen Namen ihr entfallen ist. Sie fragt den Alten, was er hier mache, und er sagt, er sei hier hängengeblieben, er wäre wegen einer Messe hier. Eigentlich wohne er in Odessa und habe dort ein Unternehmen. Und, wie ist es in Odessa?, fragt sie und er sagt: Warm und wunderschön.
In Odessa müsste man sein, sagt sie, und er sagt: Dann komm mit. und sie sagt: Na klar., sie lacht. Der Alte lacht nicht und sagt: Ich habe eine Villa, eine Yacht, du kannst an den Strand gehen, du kannst machen, was du willst, du darfst alles und musst nichts. Du kannst mir Gesellschaft leisten, du kannst auch ohne mich sein, mir reicht es schon, wenn ich nicht mehr ganz so viel alleine bin. Ihr ist ein bisschen schwindlig geworden, sie lacht immer noch und sagt: Was sagt denn deine Frau dazu, dass du solche Angebote machst. und er sagt: Meine Frau ist meine Ex-Frau und wohnt seit unserer Scheidung vor 15 Jahren mit meiner Tochter weiterhin in Deutschland. Die Tochter ist bestimmt so alt wie ich, schießt ihr durch den Kopf. Der Student mit dem Lockenkopf sieht ein bisschen ratlos zwischen beiden hin und her, die sich während des Gesprächs ohne zu blinzeln ansehen. Erst jetzt senkt sie den Kopf und sagt: Netter Gedanke, aber ich kann hier ja nicht weg. Job, Freund, Familie, sagt er, schon klar. Ja, schon klar., wiederholt sie, schon klar. Hamsterrad, der Paranoide, die Mischpoche. Oh nein, der Paranoide! Sie hatte gar nicht mehr aufs Handy gesehen, und tatsächlich, sie zieht es heraus, über zehn Anrufe, wütende Nachrichten, sie entschuldigt sich beim Alten und sagt, sie müsse kurz telefonieren, wählt schon die Nummer und hört im gleichen Moment die Stimme des Paranoiden. Wo bist du. sagt er. Noch unterwegs., aber er sagt: Was machst du da., sie verdreht die Augen und als er hinterherschiebt: Mit wem hast du gerade geredet., legt sie auf. Der Alte sieht sie lange an und sie sagt: ich muss jetzt nach Hause. Kommst du mit nach Odessa., sagt er, aber sie zuckt nur traurig die Schultern. Dann guten Heimweg., doch als sie gehen will, ruft er sie zurück: Meine Karte, falls du es dir anders überlegst. Sie steckt die Karte ein, aus Höflichkeit, hebt nochmal die Hand und geht in Richtung Bahnhof.
Zuhause öffnet sie die Türe so leise wie nur möglich, aber dem Paranoiden entgeht nichts. Warum hast du aufgelegt., mit diesen Worten steht er vor ihr und starrt sie an. Ach, lass mich., sagt sie, beginnt, sich umzuziehen und legt sich schlafen. Doch schlafen kann sie nicht, sie liegt mit offenen Augen da und denkt an den Alten, an die Villa, an die Yacht, den Strand, Odessa. Sie denkt an den Paranoiden, an die Wohnung, an das Hamsterrad, den Regen, ihr Leben. Nein, das ist doch zu verrückt., sagt sie laut und der Paranoide fragt: Was, was hast du gesagt?., Nichts., sagt sie.

Die Zeit vergeht, Wochen, Monate sind vorüber und immer noch denkt sie an den Alten, nicht andauernd, aber immer wieder, an Odessa, den Strand, die Yacht, die Villa. Der Paranoide ist jetzt in Therapie, er bessert sich. Er habe eingesehen, was er mit seiner Paranoia anrichte, meint er. Er will, dass jetzt alles besser wird. Vielleicht will er ein Haus suchen, für sie beide. Und der Winter ist vorbei, die Sonne scheint jetzt auch hier, es ist warm, aber irgendwie ist es nicht wunderschön, es ist lau, alles ist lau. An einem ganz normalen Morgen steht sie auf, sie hat nachts geträumt, wie sie und der Paranoide in zehn Jahren im Haus mit Garten leben, wie sie immer noch im Hamsterrad steckt und es Winter ist und regnet. Sie quält sich aus dem Bett, wie immer, macht ihr Frühstück, wie immer, und sitzt bei Kaffee und Zigarette am Balkon frierend vor ihrem Laptop.
Am Nachmittag steht sie mit ihrem Rollkoffer in der Halle des Flughafens. Nur das Nötigste hat sie eingepackt, das Handy hat sie liegenlassen. Keinen Zettel, keine Nachricht, das wird hart für den Paranoiden. Ein bisschen tut es ihr leid, jetzt, aber es ist zu spät und er wird es überleben. Sie sieht auf die Uhr und die Anzeigentafel, der Flug wird gleich starten, sie läuft los, Schritt für Schritt, näher, weiter, immer weiter, nach Odessa.

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Dienstag, 18. August 2015
Neuland.
So ein Mist, sagt sie laut vor sich hin, während der Kaffee durch die Kaffeemaschine brodelt und rattert, so ein Mist. Gerade hat sie den jungen Blonden aus ihrer Wohnung geworfen und fragt sich, wie er überhaupt dort hineinkam, sie fragt sich, warum sie sich eigentlich hat breitschlagen lassen gestern. Auf dem Heimweg noch hatte sie doch gesagt, nein, ich gehe alleine., er sagte, ach komm, sei doch nicht so., und sie sagte nein., aber irgendwann hatte sie keine Lust mehr zu streiten, sie hatte keine Lust mehr herumzudiskutieren, und deswegen ging sie dann doch nicht alleine und musste ihn jetzt auch aus ihrer Wohnung werfen. Warum nimmt man überhaupt jemanden mit nach Hause, fragt sie sich. Vielleicht, weil man sich geschmeichelt fühlt. Vielleicht auch nur, weil er Ruhe geben soll. Vielleicht, weil dann zumindest irgendwas passiert. Vielleicht auch, weil man keine Lust auf Liebe hat, vielleicht noch ehesten das.
Sie nimmt ihren Kaffee und denkt daran, was vorher eigentlich passiert war, der junge Blonde saß zwischen lauter jungen Schönheiten und sie saß am Rand, trank zu viel, lachte zu laut und ein älterer Dicklicher legte die Hand auf ihr Bein und schmiegte sich an sie. Der junge Blonde sah hinüber und erhob sich aus dem Kreis der jungen Schönheiten und ging, ausgerechnet, zu ihr. Vielleicht hatte sie ihn also doch nur mitgenommen, weil sie sich geschmeichelt fühlte, vielleicht war es doch das.

Ihr Handy klingelt. Es ist der Techniker, den sie manchmal trifft. Na, war es schön gestern., sagt er. Frag besser nicht., sagt sie und er lacht sein tiefes kehliges Lachen, das wie das Bellen einer Dogge klingt. Du fehlst mir., sagt er. Natürlich fehle ich dir, denkt sie, ich bin ja auch nicht da, aber sie sagt nichts. Dafür hat er ja seine Frau, eine hübsche Frau, sie kennt die Frau von Photos, die ihr der Techniker gezeigt hat. Aber sie will nicht so sein und sagt: Und, sonst alles gut., und er fragt: Hast du heute Zeit., sie seufzt und bejaht und er legt auf. Sie geht zum Briefkasten und zieht einen Umschlag heraus, vom Techniker, komisch, er hat gar nichts gesagt. Eine CD ist darin und ein Zettel: Dachte das dir das gefallen könnte., sie ignoriert die falsche Rechtschreibung, legt die CD ein und hört das Lied, dass sie beim letzten Tanzabend mit dem Techniker gehört hatte. Sie lässt sich auf den Stuhl fallen, leert ihren Kaffee und fragt sich, ob sie doch zu hart war.

Kaum verlässt sie das Haus, holt sie sich an der nächsten Ecke wieder einen Kaffee, sie kann nicht gut schlafen in der letzten Zeit, oft nickt sie erst gegen zwei Uhr morgens ein und um vier Uhr ist sie schlagartig wieder wach, verdreht die Augen, sieht auf die Uhr, bekommt Schlafpanik, als sie merkt, dass diese Nacht wieder nichts hergeben wird, legt sich seufzend wieder hin und wartet auf den Schlaf, der einfach nicht kommen will.
Zum Mittagessen trifft sie sich mit dem Techniker, er sitzt dort und lacht, sie setzt sich zu ihm und beide essen. Er erzählt aus seiner Arbeit, er erzählt eigentlich bei jedem Treffen dieselben Geschichten. Manchmal denkt sie, sie müsste ihm das sagen, dass er immer nur das Gleiche erzähle und sie die Story mit dem Chef, der bei der Arbeit einschlief, schon in und auswendig könne, aber am Schluss müsste sie dann ja selbst reden, also hört sie lieber mit halben Ohr hin, wirft ein hmm, ja, achso, na dann. ein und isst. Nach dem Essen geht der Techniker ganz selbstverständlich mit zu ihr nach Hause, das ist gar keine Frage für ihn, es ist ja alles so wie immer. Nur eines ist nicht so wie immer, es geht etwas schief und als er neben ihr liegt und sich eine Zigarette anzündet, sagt er: Gehst du zum Arzt, nur zur Sicherheit., er fragt nicht, er sagt es einfach, und sie sagt: jaja. Ich kann dich auch zum Zug fahren, du musst heute doch noch weg, sagt er. und sie sagt: Danke, ist schon ok.
Sie sitzt später im Zug und wählt schon die Nummer des Arztes, als ihr ein seltsamer Gedanke kommt. Gerade als sich die Praxis meldet, legt sie wieder auf. Vielleicht geht sie nicht zum Arzt, vielleicht, sie will darüber nicht nachdenken, über das vielleicht und über das eigentlich, das alles ist zu seltsam und zu absurd, als dass sie das überhaupt verstehen würde.

Abends trifft sie eine alte Freundin, sie sitzen in einer Bar, trinken Cocktails. Stunden später sind sie immer noch wach, versuchen einen Club zu finden, der noch geöffnet ist und sie stolpert dabei über einen Fahrradständer, fällt einem dunklen Mann in die Arme, der sie daraufhin überreden will, mit ihm mitzugehen, ihr ist schwindlig und gleichzeitig ist alles ganz klar, sie sagt ja, aber ihre Freundin zieht sie von ihm weg und in den nächsten Club. Es ist laut, es dröhnt, es ist eng, alles ist eng und laut und dröhnt und irgendwann ist da ein Typ, der sie in den Arm nimmt, der ihren Namen wissen will, der sie küsst, ganz sanft und ihr ist alles egal, der Techniker, der junge Blonde, dessen Name sie schon lange vergessen hat, aber ihre Freundin, ihre Freundin zieht sie aus dem Club, der Typ ruft noch hinterher, halt, ich habe deine Nummer doch gar nicht., aber es ist besser so, denkt sie, bestimmt ist alles besser so.
Als sie am nächsten Tag auf dem Weg nach Hause sitzt, hat sie den Arzt immer noch nicht angerufen. Aber auch der Techniker meldet sich nicht. Sie schreibt ihm einmal, zweimal, und fragt sich, ob seine Frau vielleicht inzwischen doch etwas mitbekommen hat. Kein Wunder, soviel wie er an seinem Handy und Pc hängt, kein Wunder, dass seine Frau misstrauisch wird, aber so ist das eben. Sie denkt daran, was für große Worte ihr schreibt und dann, wenn er da ist, doch immer nur seine immergleichen Geschichten erzählt. Wie er immer wieder absagt und meint, ich glaube, das ist alles gegen uns. Vielleicht sollte sie den Arzt jetzt aber auch mal wirklich anrufen. Ja, bestimmt, denkt sie, bestimmt. Aber sie tut es noch immer nicht.

Wochen später hat sich der Techniker immer noch nicht gemeldet. Sie ist im Kopf zuerst alle unverschuldeten Varianten durchgegangen, Mord, Unfall, Entführung, aber neulich fuhr er dann doch im Auto an ihr vorbei. Hat seine Frau also etwas mitbekommen, oft genug hatte sie gedacht, was denn wäre, wenn sie die Frau treffen würde, was sie ihr sagen würde. Ob sie ihr sagen würde, dass sie den Techniker nicht trifft, obwohl er eine Frau hat, sondern weil. Und dass sie es nur tut, weil sie weiß, dass diese Frau so schön und nett ist, dass er sie sowieso nicht verlassen würde.
Die Tage und Wochen vergehen und mit jedem Tag, den der Techniker sich nicht meldet, merkt sie, dass sie vielleicht den Arzt doch hätte anrufen sollen. Aber es ist zu spät, es ist schnell zu spät bei sowas, ein, zwei Tage, schon ist alles vorbei, schon lässt sich nichts mehr ändern. Nichts lässt sich mehr ändern, sagt das Kind in ihr, jetzt bin ich da und du musst mit mir klarkommen. Abwarten, sagt sie zum Kind, abwarten.
Sie überlegt, wie das werden soll, ob sie das aushält, wenn das Kind aussieht wie der Techniker oder noch schlimmer, wie sie selbst, und sie fragt sich das jeden Tag, wenn sie einkaufen geht und sie das Portemonnaie aus der Tasche nimmt und dabei auf ihren Bauch sieht und das Kind mit den Augen des Technikers heraussieht, und sie zurückstarrt und denkt, nein, das kann es doch nun auch nicht sein.

An irgendeinem Tag steht sie frühmorgens auf. Seit sie das Kind mit sich herumschleppt, kann sie wieder schlafen, sie holt sich trotzdem einen Kaffee, setzt sich in den Park und hält sich an dem dampfenden Becher fest. Eine Ente watschelt gemütlich von links nach rechts. Sie denkt lange nach. Irgendwann sieht sie ihren Bauch an und das Kind starrt zurück, mit den dunklen Technikeraugen, und sie fasst einen Entschluss.
Am Abend sitzt sie an ihrem Schreibtisch. Der Apotheker hatte sie seltsam angesehen, also hat sie sämtliche Apotheken der Stadt abgeklappert, aus jeder Apotheke hatte sie eine Packung Schlafmittel geholt, sie drückt alle Schlafmitteltabletten aus der Packung und legt sie zu einem Bild auf den Tisch. Wiese, Blumen, Sonne, alles aus kleinen weißen Tabletten. War es das schon mit mir, fragt das Kind, darf ich gar nichts sehen von der Welt., und sie sagt: Ach sei froh über alles, was du nicht sehen musstest. Sie legt die Hand auf ihren Bauch und das erste Mal streichelt sie das Kind und sagt: Es wird ganz schnell gehen und nicht weh tun, und das Kind sieht sie an, diesmal mit ihren eigenen Augen und sagt: in Ordnung. Zuerst die Wiese, dann die Blumen, dann die Sonne, Stück für Stück schluckt sie eine Tablette nach der anderen, schließt die Augen, spürt auch, dass das Kind die Augen fest geschlossen hat und beide zählen rückwärts von zehn, wohl wissend, dass sie die eins nicht mehr erleben werden.

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Samstag, 15. August 2015
Fische.
Er hat Augen wie ein Fisch, denkt sie. Wie ein Fisch, und sieht ihn an. Seine Haut ganz blass und dreckig, wie Kiemen der Mund, das schwarze Haar fällt ihm über die Augen, aber die Augen, er hat Augen wie ein Fisch.
Sie fragt sich, warum er überhaupt hier herumsitzt, hier in ihrer Wohnung, in ihrem Wohnzimmer, auf ihrer Couch. Warum in aller Welt sitzt er noch hier, warum hat sie ihn nicht längst hinausgeworfen. Er sieht nicht nur aus wie ein Fisch, er riecht auch noch so. Raus mit ihm, raus.
Aber sie bleibt dann doch sitzen und sieht ihn an, den Fisch. Wie kam es überhaupt, dass er hier gelandet ist, in ihrer Wohnung, in ihrem Wohnzimmer, auf ihrer Couch. Sie erinnert sich, dass es einen Mann gab, vor dem Fisch. Es gab einen Mann, der sie küsste, der sie anlächelte, sie in den Arm nahm und ihr süße Dinge ins Ohr flüsterte. Doch irgendwann flüsterte er nicht mehr, er nahm sie auch nicht mehr in den Arm, er lächelte nicht mehr und küsste sie auch nicht mehr. Stattdessen sagte er, er wäre sich nicht sicher. Sie sagte, sie kann warten. Die Zeit verstrich. Sie sah ihn erst mit einer kleinen Rothaarigen, dann mit einer kleinen Blonden. Sie war weder rothaarig noch klein noch blond und fragte irgendwann: Bist du dir jetzt sicher? Und er sagte: Tut mir leid.
Der Mann schrieb ihr aber weiterhin und irgendwann, als sie den Fisch traf und er sie ansah aus seinen kalten Augen, sagte der Mann: nimm den Fisch. Er ist besser als nichts, besser als Alleinsein. Und sie sagte: Aber ohne Liebe? Und er sagte: Man kann auch ohne Liebe lieben.
Nein, kann man nicht, denkt sie nun, während sie den Fisch ansieht. Er starrt vor sich hin. Eigentlich wäre er bestimmt nett. Eigentlich wäre er ein lieber, aufmerksamer Fisch, wenn sie nicht sie wäre und der Fisch nicht der Fisch. Sie macht ihn zum kalten, glitschigen, übelriechenden Geschöpf, das er ist, das er in ihren Augen wird, weil sie ihn nicht liebt, nie geliebt hat und nie lieben wird.
Sie hat jetzt ein bisschen Mitleid mit ihm, wie er so dasitzt, gekrümmt, schief, wie er eben ist. Neulich sagte er zu ihr, er verstünde nicht, wie man sie eigentlich mögen oder gar lieben könne, und als sie ihn fragte, warum er denn dann hier sei, in ihrer Wohnung, ihrem Wohnzimmer, auf ihrer Couch, sagte der Fisch: Ich kann nichts tun gegen meine Gefühle, ich hasse mich selbst dafür.
Sie hatte den Satz schon öfters gehört, dass es unverständlich sei, wie jemand sie mögen oder gar lieben könne. Je öfter sie ihn hört, desto mehr überlegt sie, ob es vielleicht stimmen könnte, ob es tatsächlich unverständlich sei, wie jemand sie mögen oder gar lieben könne. Man sagt ja, stille Wasser sind tief, aber manchmal glaubt sie, dass, obwohl sie recht still scheint, sich schnell herausstellt, dass sie kein tiefes Gewässer ist, sondern nur eine kleine Ansammlung von Regenwasser auf einem Weg. Weder tiefgründig noch schön, einfach nur ein bisschen Matschwasser nach dem Unwetter. Kurz da, gleich wieder weg, nur an der Oberfläche.
Und wenn schon, denkt sie, wenn schon. Zumindest kann man in mir dann nicht ertrinken, sie wird wütend, während sie das denkt, und wenn schon, dann bin ich eben nur Matschwasser nach dem Unwetter, es kann ja nicht jeder gleich ein Pazifik sein, und wenn schon, dann kann sich der Fisch ja auch ein anderes Gewässer suchen, sie wird ganz unruhig vor Wut, sie springt auf, geht zum Fisch, packt ihn und wirft ihn in hohen Bogen in sein Aquarium.

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Donnerstag, 6. August 2015
Konstanten.
Delikatessmomente. steht auf dem Pappkarton, in dem die Katze sitzt und mich durch die Schlitze ebenjenes ansieht. Delikatessmomente also, die Katze scheint das aber nicht zu interessieren, stattdessen steckt sie ihre Pfote durch die Schlitze des Kartons und rappelt ungestüm herum, woraufhin die zweite Katze, die bis gerade noch unbeteiligt zusah, hinein in die Delikatessmomente auf die erste Katze springt, die daraufhin den Angreifer in den Schwitzkasten nimmt. Es beginnt eine wilde Verfolgungsjagd durch die Wohnung, an deren Ende beide Katzen friedlich nebeneinander einschlafen.
Ich sitze immer noch da, und auf dem Pappkarton steht immer noch Delikatessmomente. In ihm liegt einsam eine Spielmaus und sieht mich durch die Schlitze ebenjenes an.

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Montag, 27. Juli 2015
Horizontale (1-8).
Die Frau steht im Supermarkt und knallt einen Strauß Blumen auf das Band, hinter den sie eine Schachtel Pralinen legt. Sie kauft das alles, die Pralinen, der Strauß Blumen, und dabei ist es gar nicht ihre Mutter, die Geburtstag hat, es ist die Schwiegermutter, die Mutter des Mannes, der Mann, der jetzt gerade, ja eigentlich, wo ist? Der Mann ist nicht da, die Schwiegermutter hat aber nunmal Geburtstag und so ist es die Frau, die jetzt im Supermarkt steht, einen Strauß Blumen auf das Band knallt, dahinter eine Schachtel Pralinen legt, der Strauß, die Pralinen, die Schwiegermutter.
Der Mann steht währenddessen mit der Geliebten auf dem Balkon, Schweiß und Liebe in der Luft, er raucht, er sieht hinaus, er denkt an die Geliebte, an die Arbeit, an alles, aber nicht an die Frau und nicht an die Schwiegermutter, die doch eigentlich seine Mutter ist, er denkt an die Geliebte und nicht an die Frau, er denkt an die Arbeit und nicht an den Geburtstag der Mutter. Der Blick schweift vom Balkon aus über die Gärten, über die Familien, die den Sonntagmorgen mit einem Frühstück im Garten beginnen, gedankenverloren betrachtet er schräg gegenüber, wie ein Paar zu Besuch bei den Eltern kommt und die Mutter den Kuchen anschneidet, die Mutter, er zuckt, die Mutter, Geburtstag, was ist mit Blumen, der Strauß, die Pralinen, die Mutter.
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Die Frau läuft schweigend durch den Park, den Strauß Blumen in der Hand, die Pralinen unter den Arm geklemmt, in der anderen Hand eine Zigarette, sie geht vorwärts, scheint aber lieber rückwärts gehen zu wollen, für jeden einzelnen Schritt setzt sie den Fuß nach vorne und wünscht doch gleichzeitig, der Fuß würde wie von einer unsichtbaren Kraft zurückgezogen und sie in eine andere Richtung bewegen. So geht es Schritt für Schritt vorwärts und eben nicht rückwärts, denn da ist keine unsichtbare Kraft, da sind nur die Schritte, und die gehen eben vorwärts, einer vor den anderen, bis da die Tür ist, die Tür der Mutter des Mannes, der Schwiegermutter. Die Frau drückt die Zigarette mit dem Fuß aus, atmet noch einmal tief ein und klopft.
In dem Moment, in dem die Tür aufgeht und das Gesicht der Schwiegermutter erscheint, bewegen sich mechanisch wie bei einer Marionette die Mundwinkel der Frau nach oben. Ja, schön, dich zu sehen, sagt sie, und die Schwiegermutter sagt nur: Wo ist mein Sohn?. Ich denke arbeiten, sagt sie, aber er wird bestimmt nachkommen.
Kurz darauf sitzt sie schon am Tisch, die Pralinen sind verstaut worden, der Strauß Blumen steht in einer ausnehmend scheußlichen Vase vor ihrem Teller mit dem Kuchen darauf, ein Kuchen, trockener als die Wüste, so staubig, dass, sobald man mit der Gabel in ihn hineinsticht, man glauben könnte, einen wahrhaftigen Wüstensturm zu sehen. Wo ist mein Sohn?, fragt die Schwiegermutter wieder. Ich denke arbeiten, wiederholt sie, aber er wird bestimmt nachkommen. Die Schwiegermutter schnaubt: Seine eigene Mutter vergessen, das wäre ihm früher nie passiert. Erst, seit er mit dir verheiratet ist, ist er so. Die Frau zieht wieder die Mundwinkel nach oben und schweigt. Es läutet an der Tür.
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Ich mache schon auf, sagt die Frau, steht auf und scheint froh zu sein, endlich wegzukommen, von der ausnehmend scheußlichen Vase, dem staubtrockenen Kuchen und vor allem aber von der Schwiegermutter, also steht sie auf, geht zur Tür und öffnet. Der Mann, der ähnlich wie kurz vorher noch seine Frau zeitgleich mit dem Öffnen der Tür die Mundwinkel nach oben gezogen hat, stutzt kurz, da die Frau, seine Frau, und nicht die Schwiegermutter, seine Mutter, vor ihm steht. Er richtet zeitgleich mit dem Jackett sein Gesicht und setzt stattdessen ein schuldbewusstes Lächeln auf: Tut mir leid, ein Kollege ist krank geworden.
Die Frau sieht ihn an, packt seinen Arm und zieht den Mann hinein, erst in den Flur, dann durch die Tür daneben ins Bad und schließt die Tür hinter ihm. Ein Kollege also, sagt sie, nimmt das Handtuch neben dem Waschbecken, feuchtet es an und beginnt, den Lippenstiftfleck vom Kragen des Mannes, ihres Mannes, zu wischen, und ignoriert dabei dessen sich vor Scham immer röter verfärbendes Gesicht.
Schatz, es ist nicht so, wie..., beginnt er, aber sie schüttelt den Kopf. Ist schon gut, sagt sie, lass uns den unseligen Geburtstag einfach hinter uns bringen. Er nickt, und nachdem sie den Lippenstiftfleck, den die Geliebte kurz vorher nicht ganz unabsichtlich gut sichtbar auf dem Kragen platziert hat, so gut es geht weggewischt hat, wirft sie ihm einen langen Blick zu, er nickt, und sie gehen hinaus.
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Auf der Fahrt zurück herrscht Schweigen, aber daran sind beide längst gewöhnt. Der Mann merkt irgendwann, dass er seinen Ehering, den er vor dem Besuch bei der Geliebten immer abzieht, um das schlechte Gewissen ein bisschen zu mindern, noch nicht wieder an den Finger gesteckt hat, und versucht umständlich, ohne dass die Frau es bemerkt, während der Autofahrt den Ring irgendwie wieder an den Finger zu bekommen. Die Frau verdreht irgendwann die Augen, seufzt, und zieht ihm den Ring mit einer Bewegung über den Finger, lässt sich wieder in den Sitz fallen und sieht aus dem Fenster.
Rot, du Arschloch!, brüllt der Mann los und schlägt mit der Faust auf die Hupe. Die Frau schüttelt den Kopf und sieht genervt aus dem Fenster. Was, was ist?, sagt er gereizt, und sie: Ach komm, lass mich doch. und schweigt wieder.
Zuhause knallt sie die Autotür zu, sperrt die Haustür auf, und verschwindet in ihrem Arbeitszimmer. Er geht in die Küche, lässt sich auf einen Stuhl fallen und sieht nachdenklich das Hochzeitsbild im Eck an. Lachen, Strahlen, Glück, irgendwann ist alles Leere, Schweigen, Schuld. Wie es kommt, wann es kommt, wieso es kommt, wer weiß das schon. Das Handy vibriert. Die Geliebte, wann sagst du es deiner Frau, wann trennst du dich, Trennung, Entscheidung, wer entscheidet sich schon, vielleicht entscheidet man sich auch immer nur für den, der am längsten die Füße stillhält, ja vielleicht, vielleicht ist das so.
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Die Frau steht in der Küche und schenkt sich eine Tasse Kaffee ein. Während sie die Kaffeekanne in der Hand hält, fällt ihr Blick auf ihren Ehering, eine Weile betrachtet sie ihn nachdenklich und zieht dann schließlich eine zweite Tasse aus dem Küchenschrank und schenkt auch in diese Kaffee ein. Mit beiden Tassen in den Händen geht sie barfuß die Treppe zum Arbeitszimmer des Mannes nach oben. Die Tür ist nur angelehnt, sie lugt durch den Spalt hindurch und sieht ihn, wie er vor dem Spiegel steht.
Ich habe jemanden kennengelernt, sagt er zu seinem Spiegelbild: ich habe jemanden kennengelernt und mich verliebt, ach, er bricht ab, fängt dann doch wieder an: ich weiß nicht, unsere Ehe ist so... doch so geworden wie alle anderen Ehen, dabei wollten wir das doch nie und jetzt, irgendwann habe ich sie kennengelernt und mich verliebt und, er atmet durch: sie will, dass ich mich trenne, er bricht ab und sagt leiser: ich will mich aber nicht trennen, ich kann das gar nicht, ich..., er schweigt.
Die Frau hält den Atem an und die Tassen immer noch in den Händen. Ganz leise und vorsichtig schleicht sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunter, um dann festen Schrittes laut hörbar und sich räuspernd die Treppe wieder hochzustampfen. Schon bevor sie die Tür öffnet, sagt sie laut: Schatz, ich habe Kaffee mitgebracht.
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Das Handy des Mannes vibriert und vibriert, abwechselnd Nachrichten und Anrufe, er sitzt daneben, hat die Brille abgenommen und sieht müde aus. Die Frau stellt ihm einen Kaffee hin: Willst du nicht mal drangehen?, aber er schüttelt den Kopf. Die Frau geht zurück in die Küche und schneidet weiter Gemüse, als sie durch das Küchenfenster einen Sportwagen vorfahren sieht. Die Geliebte steigt aus, ihr Gesicht hat sich vor Wut rot verfärbt, sie wirft knallend die Autotür zu und läuft, rennt zur Haustür. Im nächsten Moment klingelt es Sturm. Der Mann erhebt sich langsam von der Couch und geht nun, wie wenige Tage zuvor seine Frau zur Schwiegermutter, mit diesen Schritten vorwärts zur Tür, mit diesen Schritten, die sich wünschten, sie würden in die andere Richtung führen.
Als er die Tür öffnet, schreit ihm die Geliebte entgegen: Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Glaubst du, ich lasse sowas mit mir machen? Dass du mich einfach ignorierst, du bist das Allerletzte - meinen Job und die Wohnung habe ich gekündigt, das war es für mich, schreit sie und wirft ihm eine Tasche mit seinen Sachen, die er in ihrer Wohnung hatte, entgegen. Sie dreht sich um, stößt sich an dem Blumenkübel neben der Tür, schreit noch einmal vor Wut laut auf, setzt sich in den Wagen und fährt mit durchdrehenden Reifen vom Vorplatz.
Die Frau, die dem Wagen noch durch das Küchenfenster nachsieht, murmelt: Irgendwie kann ich sie ja verstehen., seufzt, und geht ins Wohnzimmer. Der Mann hat sich wieder auf die Couch gesetzt und vergräbt das Gesicht in seinen Händen. Die Frau setzt sich neben ihn, legt ihren Arm um ihn und zieht ihn an sich. Er weint. Nun komm, wird doch alles wieder., sagt sie, hält ihn fest und streichelt seinen Rücken und sein Haar. Nun sieht auch sie das Hochzeitbild gegenüber lange an.
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Am nächsten Morgen wacht die Frau spät auf, grelles Licht scheint bereits durch die Vorhänge. Sie steht auf und geht nach unten in die Küche. Auf dem Tisch steht Frühstück, frische Brötchen, Kaffee in der Thermoskanne, Blumen. Ein Zettel: Musste zu einem Patienten, 1000 Küsse, ich liebe Dich., die Frau setzt sich, nimmt den Zettel in die Hand, plötzlich knüllt sie ihn zusammen und schreit auf, sie weint.
Kurz darauf verlässt sie das Haus, sie fährt mit dem Bus zum Bahnhof, dann weiter mit der Bahn, sie sieht ihr Spiegelbild in der Scheibe an, sie sieht sich selbst in die Augen, lange, eindringlich, aber keiner zwinkert, keiner sieht weg. Sie starrt die ganze Fahrt über in ihr eigenes Gesicht, aber es will einfach keine Reaktion kommen.
An der ihr bekannten Haltestelle steigt sie aus. Den Rest läuft sie zu Fuß, sie kennt den Weg, sie kennt ihn gut von unzähligen Malen, den sie ihn gelaufen ist. Dort vorne noch bis zum Hochhaus, dann ums Eck hinein ins Wohngebiet, dort drüben vorbei an den Gartenzäunen hin bis zu einem Kindergarten. Sie stellt sich vor das Gittertor, Kindergeschrei vermischt sich mit Vogelsingen, sie sieht einige Kinder, die soeben nach außen gebracht werden, von zwei Frauen. Die eine sieht sie an und sie sieht zurück. Die Rothaarige sagt zu ihrer Kollegin: Warte kurz, ich bin gleich zurück.
Sie läuft auf die Frau zu, schnell, und Schritt für Schritt lächelt sie mehr: Na endlich, sag mal, wo warst du denn die ganze Zeit?, aber die Frau sagt nichts. Die Rothaarige kommt aus dem Gittertor und zieht die Frau beiseite: Ich habe dich vermisst. Die Frau sagt: Ich dich doch auch, und küsst die Rothaarige.
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Als die Frau zurückkommt, steht der Mann auf dem Garagenvorplatz und lächelt. Sie sieht ihn fragend an, aber er hält ihr seine Hand hin und sagt: Augen zu., erst in der Garage macht sie ihr Augen auf und sieht das Cabrio. Im Abendlicht fahren sie, sie sitzen im Fahrtwind und irgendwann tastet sie nach seiner Hand und so sitzen sie und schweigen und lächeln.
Am nächsten Tag geht die Frau in die Stadt, sie schlendert durch die Fußgängerzone, als plötzlich eine bekannte Stimme Hallo! ruft, die Rothaarige sitzt dort, mit ihrem Mann, ihren beiden Kindern, die Frau winkt und lächelt ihnen zu, sie schweigt und geht weiter. Sie weiß, der Mann wird heute in der Arbeit seine neue Kollegin kennenlernen. Sie hat gehört, dass sie hübsch sein soll.

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Im alten Park.
Auf der Bank im Wald, neben mir ein Jogger, der die ganze Zeit die Treppe hinauf und wieder hinunter rennt.
Eine Frau kommt mit einem schwarzen Pudel, der eine Ente im Maul hat. Stolz trägt er sie bis vor meine Füße und lässt sie dort fallen. Tot und leblos liegt das Kuscheltier vor mir.
Na, hat sie sich sehr gewehrt? Musstest du lange jagen, bis du sie gefasst hast? frage ich den Pudel. Er hechelt glücklich vor sich hin. Ich stopfe ihm die Kuscheltierente wieder ins Maul und er läuft weiter.
Der Jogger rennt immer noch wie ein Verrückter die Treppe hinauf und wieder hinunter. Ich weiß gar nicht, warum man sowas macht.

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Träume vom Schreiben.
Manchmal träume ich zu schreiben, ich träume dann, dass ich diesen Editor öffne und Zeilen eintippe und tatsächlich tippe ich im Traum lange Texte und ausladende Gedichte und während ich träume und mir gewahr werde, dass ich ja nur schlafe, versuche ich zu entziffern, was ich da schreibe, um etwas zu haben, was ich schreiben kann, wenn ich denn dann wach bin, aber es gelingt mir nicht, leider gelingt es nie. Und so öffne ich diesen Editor und tippe Zeilen ein und oft genug lösche ich sie und schließe den Editor wieder.
Vorbei die Zeit, in der ich etwas zu sagen hatte.

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Blick aus dem Fenster.
Der Zug steht, der Sitz auch, und draußen, außerhalb des Fensters rast die Landschaft an mir vorbei. Manchmal frage ich mich, wie das wäre, wenn man in einem tatsächlich stehenden Zug säße und auf einer Leinwand außerhalb des Fensters eine Landschaft an einem vorüberrasen sähe, ob man dann vielleicht nicht trotzdem dächte, man selbst sei es, der rast und die Landschaft die, die steht; allein, weil es sonst eben auch immer so ist, dass es zwar wirkt, als ob der Zug steht, der Sitz auch, und draußen, außerhalb des Fensters die Landschaft an mir vorbeirase, aber ich tatsächlich in dem Zug ja die bin, die rast und die Landschaft die ist, die steht und sich nicht bewegt, nicht einen Millimeter, ja wie denn auch.

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Someplace.
Augen zu, auf, zu, Enttäuschung frisst das Herz auf, verleibt es sich ein und lässt es mit einem gewaltigen Schluck im Magen verschwinden. Tränen drückt es aus dem Auge, zu auf zu, geht es zu, auf, Wasser strömt, wieder zu. Schulterklopfen, Mitleid macht es nur schlimmer, lässt die Enttäuschung nicht nur das Herz, auch den Stolz fressen und mit einem gewaltigen Schluck hinunterwürgen. Eklig liegen sie in der Magengrube, Herz und Stolz, vereint in absurder Symbiose. Metaphern der Unnötigkeit, fast so unnötig wie die Enttäuschung, die eigentlich stattdessen hinuntergewürgt gehört.
Aber dafür ist man dann doch zu sehr mensch.

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Hinhören.
resignation
vertrauen
hin ist hin
es kommt wie es kommt
alles zurück und nach vorn.

Zukunft?

stabilität
alleinsein
weg ist nicht da
ändere dein denken
denken ändert fühlen ändert
handeln ändert alles.

Zukunft?

gemeinsam lebt sich einsam leichter
lässt sich die welt dann doch besser ertragen.

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Pläne und Zeiten.
Immer wenn ich im Terminplan gefangen bin und nicht rauskann aus den Kästchen, den gelb oder rot oder auch grün angemalten Kästchen mit Uhrzeiten und Orten darin, immer also, wenn ich in so einem gelben oder roten oder auch grün angemalten Kästchen sitze und nicht rauskann und sich die Uhrzeit oder der Ort wie ein Gitter vor mich schiebt und ich in diesem Kästchen also gefangen bin, dann kann ich nicht mehr. Ich schlafe unruhig, ich esse unruhig, und in jeder Zwischenpause, also immer dann, wenn da kein gelbes oder rotes oder grün angemaltes Kästchen ist, bin ich trotz alledem gefangen im Terminplan, gefangen in der weißen Lücke hinter dem Wörtchen "frei", das sich wie ein Gitter vor mich schiebt und mich also im Terminplan gefangenhält.
Ist der Terminplan wieder hinfällig, weil endlich wieder Ruhe einkehren kann, stehe ich Sonntagmorgens trotzdem früh auf, gerade, wenn die Morgenvögel zu schreien anfangen, ich frühstücke, ich putze, ich mache dies und das und dann ist es gerade mal zehn und eigentlich weiß ich schon nichts mehr mit mir anzufangen.

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Sehnsucht.
Still schweigt Sehnsucht quält Sehnsucht hält Sehnsucht das Herz fest im Griff schnürt den Atem ab ganz eng den Atem ab hält das Herz fest im Griff die Lunge auch und eigentlich alles
Die Gedanken quält Sehnsucht macht das Leben still und hat die Freude fest im Griff bringt die Stille in den Tag ganz fest die Freude im Griff und die Stille und das Leben auch und eigentlich alles
Rückwärts zählen die Tage immer Rückwärts die Nächte alles Rückwärts bis die Sehnsucht endlich weg ist endlich frei atmen, Herzschlag, Freude, Licht.

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Absurditäten.
Wie Sardinen, denke ich, wie Sardinen stehen sie gedrängt in der Bahn, Haut an Haut, Schweiß an Schweiß, den Atem vom einen und vom anderen im Gesicht. Im Versuch, den anderen nicht zu berühren, drehen sie sich und haben erst recht die Hand, das Bein, die Berührung des anderen am eigenen Körper. Im Gemenge ich, eine Hand in der Halteschlaufe, den Rest des Körpers abgestützt an anderen Körpern. Ich höre die Musik aus den Kopfhörern des Mannes rechts von mir, lasse sie das Gespräch eines Paares links von mir begleiten, während ich im Fenster eine Frau beobachte, die ihrerseits sich selbst beobachtet.
Bei jedem Halt geht die Tür auf und die schon so volle und gedrängte Masse sieht entsetzt auf diese zehn, fünfzehn, zwanzig Menschen, die ihrerseits entsetzt auf die so volle und gedrängte Masse sehen. Die zehn, fünfzehn, zwanzig Menschen holen Luft, halten sie an und quetschen sich seufzend durch die Tür, in die Masse hinein und werden innerhalb von Augenblicken selbst Teil dieser Masse, Haut an Haut, Schweiß an Schweiß, den Atem vom einen und auch vom anderen im Gesicht. Irgendwo hinten im Bahnabteil singt eine christliche Kindergruppe: Er ist am Kreuz gestorben, ich glaube fest daran...

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Neue Worte.
-Umzug von lakowka.blog.de-

Nach so langer Zeit wieder zu schreiben, ist wie laufen lernen. Ein Wort hinter das andere setzen wie sonst einen Fuß vor den andern, weiter, weiter, immer weiter, nicht verunsichern lassen von Wörtern, die in den Kopf, in die Finger wollen, nicht von der eigenen Unsicherheit aufhalten lassen, nicht stehenbleiben, weiterschreiben, immer weiter.
Während ich nun meine ersten Geh- bzw. Schreibversuche mache, sitze ich an der Bahnhaltestelle. Die Sonne scheint, die Bahn streikt, die Vögel zwitschern und die Straße brummt. Wenn die Bahn kommt, werde ich einsteigen.
Manchmal habe ich ja die abstruse Idee, wenn ich einmal einen Zug verpassen würde, zu dem ich gerade noch hinrenne, und völlig außer Atem am Gleis stehe, dem Zug verzweifelt hinterhersehe, dass ich einfach in einen anderen steige und ganz woanders hinfahre. Die Idee heitert mich dann immer ziemlich auf.
Vielleicht fehlt mir auch einfach der Mut, das auch mal zu tun. Aber immerhin habe ich nun wieder genug Mut, um zu schreiben.
Auf ein Neues....

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