Strasbourg I. Ganz ohne Vorurteil.
Der 2. Busfahrer: Wir starten unsere Fahrt nach Straßburg. Es wird sehr windig werden auf der Autobahn, sehr, sehr viel Wind. Von vorne links nach hinten rechts, von vorne rechts nach hinten links, von allen Seiten, es ist ein politischer Wind, wie die politische Lage...
Alte Frau: Warum ist der Bus denn eigentlich wieder zu spät, immer zu spät?! Acht Minuten! Acht Minuten, da kann man ja nicht planen, nichts machen, so wird das nichts, das ist doch nicht wirtschaftlich, wer fährt denn da noch mit Ihnen mit, wenn Sie dauernd Verspätung haben, acht Minuten, und dann sagen Sie nicht einmal Bescheid?!
Der 1. Busfahrer: Wissen Sie, das kann man nicht so genau sagen, wie man ankommt. Die Straßen waren voll, es gab einen Unfall und dann...
Alte Frau: Ja, aber acht Minuten?! ...
Der 1. Busfahrer: Ja, die Verkehrslage, die ist leider so. Aber wie geht es Ihnen denn, letztes Mal war doch Ihre Tochter mit im Bus?
Alte Frau: Jaja, diesmal fahre ich alleine zu meinem Sohn nach Freiburg, ich bleibe da eine Woche! Aber meine Tochter, die hat viel zu viel zu tun! Wir haben damals ja alles zugleich hinbekommen, Kinder und Beruf und Eltern, aber die jungen Leute... Stattdessen beschweren sie sich, dass ich mein Handy nicht mitnehme und sie eine Stunde auf mich warten mussten, aber warum sollte ich denn aber mein Handy mitnehmen, auf der Fahrt, ich brauche doch mein Handy auf der Fahrt nicht, immerzu diese Kommunikation!
Der 1. Busfahrer: Ja, manchmal ist das aber nicht so unpraktisch, zumindest zum Bescheid sagen...
Alte Frau: Ach, Bescheid sagen, wir haben das doch früher auch anders geschafft! Wissen Sie, dass man jetzt überlegt, auf dem Boden vor Ampelübergängen Leuchtmarkierungen zu installieren, weil die jungen Leute alle nur mit dem Blick nach unten hängen?!
Der 1. Busfahren: [lacht]
Alte Frau: Ja, Sie lachen! Aber das ist nicht lustig! Ich als Mutter wüsste ja, wie man das verhindern könnte, das ist alles Erziehung, Erziehung ist das! Die jungen Leute haben völlig verlernt zu kommunizieren! Die können sich nicht mehr ins Gesicht sehen! Früher, früher hat man sich getroffen und in die Augen gesehen und dann wusste man was los war, heute schauen die sich nicht mehr in die Augen!
Der 1. Busfahrer: Ja, meine Frau und meine Tochter....
Alte Frau: Empathie! Empathie! Das fehlt den Leuten, sie können nicht mehr zuhören! Und in die Augen sehen!
Der 1. Busfahrer: Ja, wenn meine Frau und meine Tochter...
Alte Frau: Nicht mehr zuhören! Die Augen! Und dann fotografieren sie alles, das Essen, alle müssen ihr Essen fotografieren, und von allem machen sie Bilder, von allem!
Der 2. Busfahrer: Wenn sie nach links und nach rechts sehen, sehen Sie... Groß- … und Kleinblittersdorf. Es zeichnet sich vor allem durch seine Mischung aus sehr alten kaputten und sehr neuen kaputten Häusern aus. Letztere wegen Goldman Sachs.
Der 1. Busfahrer: Wohnen Sie denn in Saarbrücken, wo Sie eingestiegen sind?
Alte Frau: Nein nein, ich wohne in einem kleinen Dorf, ganz weit außerhalb, da braucht man ein Auto. Das ist ganz nett dort, sehr ruhig, wenn man seine Freunde hat, dann geht’s. Die Ureinwohner dort sind unerträglich...
Der 1. Busfahrer: [lacht] Ja, das kenne ich...
Alte Frau: Wissen Sie, was das ist: Ureinwohner?
Der 1. Busfahrer: Jaja..
Alte Frau: Ja, ich weiß ja nicht, ob Sie das kennen, in Deutschland sind ja viele Dinge immer doch anders. Auf dem Dorf gibt es auch diese Dorfvereine, kennen Sie das?
Der 1. Busfahrer: Ja, natürlich...
Alte Frau: Dorfvereine, das sind dann Gesangsvereine, Sportvereine, Schützenvereine,...aber das stirbt ja alles aus, die jungen Leute gehen da ja nicht mehr hin. Gibt es das bei Ihnen auch?
Der 1. Busfahrer: In Dormagen gibt es das auch, ja...
Alte Frau: Aber Sie sind ja nicht aus Dormagen, woher sind Sie, Tschechei oder Polen?
Der 1. Busfahrer: Slowenien.
Alte Frau: Achja, das sind ja auch alle ganz andere Sitten überall, das ist für Sie ja sicherlich komisch, wenn Sie in Deutschland sind.
Der 1. Busfahrer: Naja, ich bin ja schon seit vierunddreißig Jahren in Deutschland...
Alte Frau: Jaja, ganz komisch ist das ja, wenn Sie aus der Tschechei,...
Der 1. Busfahrer: Slowenien...
Alte Frau: Ja, dann eben Slowenien kommen. Es ist ja überall immer anders, immer andere Sitten. Bei den Amerikanern zum Beispiel, die Amerikaner lassen ja zum Beispiel alle immer ihr ganzes Essen auf dem Teller, weil das zeigen soll, dass sie nicht aufgehört haben zu essen, weil nichts mehr da war, sondern weil sie satt sind – die sind doch verrückt! Wahrscheinlich fotografieren die das vorher auch noch, die jungen Leute dort. Also ich meine, ich bin ja ganz ohne Vorurteil, aber...
Der 2. Busfahrer: Wir erreichen Straßburg. Wir beglückwünschen Sie, dass Sie mit den Besten der Besten gefahren sind, nämlich uns, und wünschen Ihnen viel Spaß bei Ihrem Aufenthalt. Alles Gute!

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