Fische.
Er hat Augen wie ein Fisch, denkt sie. Wie ein Fisch, und sieht ihn an. Seine Haut ganz blass und dreckig, wie Kiemen der Mund, das schwarze Haar fällt ihm über die Augen, aber die Augen, er hat Augen wie ein Fisch.
Sie fragt sich, warum er überhaupt hier herumsitzt, hier in ihrer Wohnung, in ihrem Wohnzimmer, auf ihrer Couch. Warum in aller Welt sitzt er noch hier, warum hat sie ihn nicht längst hinausgeworfen. Er sieht nicht nur aus wie ein Fisch, er riecht auch noch so. Raus mit ihm, raus.
Aber sie bleibt dann doch sitzen und sieht ihn an, den Fisch. Wie kam es überhaupt, dass er hier gelandet ist, in ihrer Wohnung, in ihrem Wohnzimmer, auf ihrer Couch. Sie erinnert sich, dass es einen Mann gab, vor dem Fisch. Es gab einen Mann, der sie küsste, der sie anlächelte, sie in den Arm nahm und ihr süße Dinge ins Ohr flüsterte. Doch irgendwann flüsterte er nicht mehr, er nahm sie auch nicht mehr in den Arm, er lächelte nicht mehr und küsste sie auch nicht mehr. Stattdessen sagte er, er wäre sich nicht sicher. Sie sagte, sie kann warten. Die Zeit verstrich. Sie sah ihn erst mit einer kleinen Rothaarigen, dann mit einer kleinen Blonden. Sie war weder rothaarig noch klein noch blond und fragte irgendwann: Bist du dir jetzt sicher? Und er sagte: Tut mir leid.
Der Mann schrieb ihr aber weiterhin und irgendwann, als sie den Fisch traf und er sie ansah aus seinen kalten Augen, sagte der Mann: nimm den Fisch. Er ist besser als nichts, besser als Alleinsein. Und sie sagte: Aber ohne Liebe? Und er sagte: Man kann auch ohne Liebe lieben.
Nein, kann man nicht, denkt sie nun, während sie den Fisch ansieht. Er starrt vor sich hin. Eigentlich wäre er bestimmt nett. Eigentlich wäre er ein lieber, aufmerksamer Fisch, wenn sie nicht sie wäre und der Fisch nicht der Fisch. Sie macht ihn zum kalten, glitschigen, übelriechenden Geschöpf, das er ist, das er in ihren Augen wird, weil sie ihn nicht liebt, nie geliebt hat und nie lieben wird.
Sie hat jetzt ein bisschen Mitleid mit ihm, wie er so dasitzt, gekrümmt, schief, wie er eben ist. Neulich sagte er zu ihr, er verstünde nicht, wie man sie eigentlich mögen oder gar lieben könne, und als sie ihn fragte, warum er denn dann hier sei, in ihrer Wohnung, ihrem Wohnzimmer, auf ihrer Couch, sagte der Fisch: Ich kann nichts tun gegen meine Gefühle, ich hasse mich selbst dafür.
Sie hatte den Satz schon öfters gehört, dass es unverständlich sei, wie jemand sie mögen oder gar lieben könne. Je öfter sie ihn hört, desto mehr überlegt sie, ob es vielleicht stimmen könnte, ob es tatsächlich unverständlich sei, wie jemand sie mögen oder gar lieben könne. Man sagt ja, stille Wasser sind tief, aber manchmal glaubt sie, dass, obwohl sie recht still scheint, sich schnell herausstellt, dass sie kein tiefes Gewässer ist, sondern nur eine kleine Ansammlung von Regenwasser auf einem Weg. Weder tiefgründig noch schön, einfach nur ein bisschen Matschwasser nach dem Unwetter. Kurz da, gleich wieder weg, nur an der Oberfläche.
Und wenn schon, denkt sie, wenn schon. Zumindest kann man in mir dann nicht ertrinken, sie wird wütend, während sie das denkt, und wenn schon, dann bin ich eben nur Matschwasser nach dem Unwetter, es kann ja nicht jeder gleich ein Pazifik sein, und wenn schon, dann kann sich der Fisch ja auch ein anderes Gewässer suchen, sie wird ganz unruhig vor Wut, sie springt auf, geht zum Fisch, packt ihn und wirft ihn in hohen Bogen in sein Aquarium.

Kommentieren